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Wand und BodenBerlins größter Promi als erotische Bühne

■ Kunst in Berlin jetzt: Jonathan Meese, Marielle Neudecker, Tom Burr

„Moby Dick is back“ steht am Ende des ersten Gangs über dem aufgerissenen Fischmaul an die Wand geschrieben. Vermutlich hat Jonathan Meese den Satz als Leitmotiv für seine Ausstellung in die Galerie Contemporary Fine Arts geschrieben, weil er sich wie Käpt'n Ahab fühlt. Ein Maniac auf Beutejagd. Selber kommt man sich zwölf Nischen später eher gefangen vor wie ein biblischer Jonas im Bauch des Walfischs, so dicht hat sich die Bilderwelt zusammengezogen. Meeses Labyrinth aus Filmplakaten, Zeichnungen, kopierten Buchseiten und Trashkultursymbolen ist nicht bloß einnehmend, sondern auch sehr bedrückend. Die Erinnerungswelt, die sich hier auftürmt, scheint auswegslos. Wer sich von diesem Ambiente in ein Jugendzimmer aus den siebziger Jahren versetzt fühlt, hat entweder das Teenagerleben nicht verstanden – oder aber die Kunst.

Der Hamburger Maler/Performer hat die Galerie komplett zugebaut. In Schulterhöhe wurde eine zweite Etage mit Holzpaletten eingezogen, so daß man leicht gebückt auf zwei Ebenen den Rundgang durch ein ziemlich geschlossenes Zeichensystem starten kann. Ohne die schreinartig arrangierte Masse an Images gäbe die Installation eine erstaunliche Raumsituation ab – die Galerie als Lagerhalle. Doch die Bühne ist nur Dreingabe zur Bilderflut, mit der Meese ebenso besessen wie präzise umgeht, wenn er archaische Mythen und Pop-Diskurse ineinanderschiebt und abbildet.

Am Anfang steht die Figur des Imperators früherer Zeiten, dessen Terrorregime zumeist von einer blühenden Kulturproduktion begleitet war. Nero liebte die Musik, Napoleon raubte sich ägyptische Kunstschätze zusammen, und für Nietzsche waren das apollinische Prinzip des Kriegers und die dionysische Begeisterung für den Rausch untrennbar miteinander verbunden. Was sich an Kulturgeschichte sonst nur in Museen und Büchern abgelagert hat, wird von Meese in die Gegenwart übertragen. Dort heißen seine Helden allerdings „Hexn-Gevatter“, „Toni“ oder „Nabob“ und sind meist als narzißtisch übersteigertes Künstler-Ich konzipiert. Offenbar mag sich Meese gerne selbst fotografieren.

Der Rest ist eine Mischung aus Referenzen und Freestyle: Ein Video mit Sean Connery als Herrscher der Fantasy-Insel Zardoz trifft auf an die Wand getackerte Billigpornos aus den Schriften von Rolf-Dieter Brinkmann; in einer anderen Ecke läuft „Caligula“, von Klaus-Kinski-Starschnitten umrahmt; und auf einer Flokati-Liegewiese kann man sich „Clockwork Orange“ ansehen, während im Hintergrund Fleetwood Mac „Go your own way“ trällern. Das alles ist nicht leicht zu versöhnen, und soll es wohl auch gar nicht. Irgendwo hat Meese auf ein Poster von Robert De Niro „Love“ und „Hate“ geschrieben. Dazwischen gibt es nichts in seiner Bilderwelt.

Bis 12.9., Di.–Fr. 11–18, Sa. 11–17 Uhr, Sophienstr. 23

Als Pendlerin zwischen Deutschland und England hat sich die Düsseldorfer Künstlerin Marielle Neudecker an langweilige Schiffsreisen von Calais nach Dover gewöhnt. Irgendwann wurde ihr die vierstündige Bootstour sogar zum Motiv einer Fotoarbeit: Wenn man während der Überfahrt alle fünf Minuten auf den Auslöser der Kamera drückt, kann man die Bilder nach der Entwicklung so zusammensetzten, daß sie ein Panorama des Ärmelkanals ergeben. Nur muß man auf die Geschwindigkeit der Fähre aufpassen, den Gegenwind, die Strömung... es ist also eine eher konzeptuelle, nicht ganz unironische Angelegenheit. Der Ärmelkanal, den Neudecker in der Galerie Barbara Thumm zeigt, ist etwas über 2,30 Meter breit und kaum höher als ein Kontaktabzug. Und auch der Glaskubus, in dem ein Dreimaster durch künstlichen Nebel (auf der Basis einer Farb- Salzlösung-Kombination) segelt, hat den Reiz eines conversation piece, an dem man sich staunend und rätselnd die Nase platt drücken kann, wie bei einem Diorama im Naturkundemuseum. Offenbar liebt die 1965 geborene Künstlerin, die am Londoner Goldsmith College mit Damien Hirst und dem Rest der Young British Artists studierte, undurchsichtige Situationen – ganz in Tradition der englischen Spätromantik, als die Grenze zwischen Kunst, Liebhaberstück und Kuriositätenkabinett fließend war. Dabei kommt es auch auf die Wißbegierde an, die man als Betrachter ihrer Fotos, Objekte und Videos entwickelt. Sind die Szenen der Natur als Lehrstoff abgeguckt, oder kommentieren sie den endgültigen Bruch mit dem Naturbild? Die von Laien vorgezeichneten Globen im hinteren Galerieraum sind zumindest weltfremd, aber sehr phantasievoll.

Bis 1.8., Di.–Fr. 14–19, Sa. 13–17 Uhr, Auguststraße 22

Noch sind nicht alle Pros und Contras zum Thema Stadtplanung in Berlin vorgetragen. Anders als die Masterplan-Apologeten und Gentrification-Kritiker geht Tom Burr für seine Installation „Surface“ auf das unscheinbarste Material zurück: Jeder neue Block ist auch nur auf Sand gebaut. Also hat er in der Galerie Neu einen entsprechenden Haufen aufgeschüttet und mit zwei rosa Strahlern angeleuchtet, um „einen Effekt wie bei Fassbinders ,Querelle‘ hinzukriegen“ – die Bauwüste als erotische Bühne.

Für Burr ist dieses Szenario eine Metapher für das sich wandelnde städtische Leben, das sich vor allem nach dem architektonischen Entwurf richtet. Hügel werden verschoben, abgetragen und neu aufgeworfen, so wie die Beate-Uhse-Container in Mitte ständig an einem neuen Ort auftauchen. Andererseits beklagt Burr die Entkörperlichung, die mit der Neuordnung einhergeht: Durch die verspiegelten Fassaden reflektieren sich die Häuser nur noch selbst. Seine Alternative sieht indes rosa Spiegelfolie vor, die den Innenraum der Galerie in einen besänftigenden Farbton hüllt. Gegenüber hat Burr drei Serien mit je 45 Polaroid-Fotos von Bauplätzen gehängt – Sandhaufen in unzähligen Varianten. Aber auch hier geht es weniger um das Land-art-spezifische Fasziniertsein von entropischen Zuständen, wie sie der Bauboom derzeit erreicht hat. Im Polaroid liegt etwas von den flüchtigen Begegnungen, wie man sie von Warhols celebrities-Schnappschüssen kennt. Berlins größter Promi scheint weiterhin die Baustelle zu sein. Eine ziemlich unglamouröse Sache.

Bis 31.7., Di.–Fr. 14–19, Sa. 12–16 Uhr, Charitéstr. 3 Harald Fricke

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