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Rohe Brocken im Fernsehfluß

Seit zehn Jahren verstört Alexander Kluges Kultur-TV „News & Stories“ allwöchentlich Sender wie Zuschauer  ■ Von Christian Schulte

Warum ist der Fernseher rund?“ Das ist nur eine der Fragen, die eine leise Stimme aus dem Off stellt. Die, die dann folgen, klingen noch merkwürdiger: „Was ist ein Zeitalter?“; „Würden Sie sagen, daß der Mensch sachlich interessiert ist?“ Wir sehen den Regisseur Peter Paul Kubitz, der vor einem laufenden Fernseher sitzt und all das beantworten muß. Es folgen eine Montage von diversen Fernsehprogrammen aus mehreren Jahrzehnten und immer wieder, die Bilderfolge unterbrechend, Zwischentitel wie: „Alle Rückblicke aus der Geschichte des TV sind interessanter als jede Gegenwart“. So sah beispielsweise am 5. Januar Alexander Kluges Kulturmagazin „News&Stories“ aus. Das Thema der Sendung klang so seltsam wie der Rest: „Der Frontblick auf die weite Welt/Das Prinzip Fernsehen.“

Das Prinzip Fernsehen hat dem Filmemacher, Schriftsteller und seit längerem eben auch TV-Unternehmer Kluge einen hübschen Langzeiterfolg gebracht. Heute vor zehn Jahren wurde „News&Stories“ (mit einem „imaginären Opernführer“) erstmals ausgestrahlt. Seitdem läuft es wöchentlich spätabends auf Sat.1.

In der Geschichte des Fernsehens, zumindest des kommerziellen, ist es wohl einmalig, daß sich eine Programmform halten kann, die die Quotenerwartung der Sender so konsequent ignoriert. Neben „News&Stories“ bringt Kluge seine TV-Ästhetik zudem noch in weiteren Formaten auf den Bildschirm: „10 vor 11“ (RTL, seit Mai 1988) „Prime Time“ (RTL, seit 1990). „New&Stories“ jedoch ist mit 45 Minuten Länge das größte Kluge-Format.

Das Programmumfeld ist dabei integrativer Bestandteil von Kluges Prinzip Fernsehen: Neben RTL-Chef Helmut Thomas Tittenshow „Happy Playboy Hour“, die dieser anfänglich um die Kluge- Sendungen programmierte, nach Ulrich Meyers Skandaljagd „Akte 96 ff“, die bei Sat.1 zuletzt vor „News&Stories“ lief, und umgeben von bunten Werbespots für Waschen, Zähneputzen und Liebemachen am Telefon wirken Kluges Kulturstunden als einzige ästhetische Provokation.

Die Provokation wirkt: „Der Parasit bestimmt, wohin der Wirt sich bewegt“ – so ließ sich etwa RTL-Chef Helmut Thoma über Kluges Quotenkiller aus. Allerdings haben die Sendermanager inzwischen mehr und mehr ihren Frieden mit Kluge gemacht, weil er ihnen in seinen Sendefenstern auch die quotenträchtigen Formate „Spiegel TV“ und „Stern TV“ einbringt.

Daß es überhaupt zu der ungewöhnlichen Koexistenz kommen konnte, hatte medienpolitische Gründe. Als es in der Gründungsphase des Privatfernsehens um die begehrten Antennenfrequenzen an (damals noch) RTL plus und Sat.1 ging, waren diese auf alles vorbereitet, nur nicht darauf, auch Kultur und investigativen Journalismus im Programm zu haben. Genau das aber schrieb das NRW- Mediengesetz vor. Kluge, selbst Jurist, nutzte diese Lücke und gründete im Februar 1987 gemeinsam mit dem japanischen Werbekonzern Dentsu und dem Spiegel- Verlag die Firma DCTP. Mit ihr bekam er eine eigene Sendelizenz für die Spätschienen – ähnlich später auf Vox. Als Anfang dieses Jahres dann die Sendefenster bei RTL und Sat.1 bundesweites Recht wurden, schien Kluge schon auf die Lizenz abonniert.

Mit dem Papier in der Hand sind Kluge wirkliche TV-Innovationen gelungen, die in den Genrebegriffen des Mediums nicht nur nicht aufgehen, sondern die sich bewußt als „Gegenproduktion“ definieren: als Entwürfe gegen die Vereinheitlichungstendenzen des dominanten Mediums und den damit verbundenen Aufmerksamkeits- und Wirklichkeitsverlust der Zuschauer.

Kluge: „Man muß Formen entwickeln, die sich innerhalb dieses unmöglichen Kontextes, der Ausdruck vernichtet, halten können. Das werden wahrscheinlich kurze Formen sein, die aber untereinander so viele Reihen bilden können und so sehr auf die Variationsform vertrauen, die eine Differenzform ist, daß dadurch sehr einfache und umfassende Dinge nacherzählt werden können.“

Eine solche Reihe bilden zum Beispiel die vielen Beiträge Kluges zum Thema Krieg. Ob er in der Sendung „Anti-Oper“ mit Heiner Müller die Materialschlacht des ersten Weltkriegs vergegenwärtigt, in einem Portrait des Komponisten Gija Kantscheli den Gaskrieg oder mit dem Literaturwissenschaftler Joseph Vogl die „Kriegsrhetorik von 1914“ – in all seinen vielfach bebilderten Varianten werden die kollektiven Traumata mit unterschiedlichen Brennweiten in den Blick genommen und auf eine neue, unerwartete Weise zu entziffern versucht – die „Chiffre dieses Jahrhunderts“, wie Kluge es nennt.

Somit bilden seine Sendungen eine einzige weitverzweigte experimentelle Versuchsanordnung. Die Formenvielfalt kennt kaum Grenzen: In Gesprächen, in Zitatcollagen mit (computer-)verfremdeten Bild- und Textfragmenten, Stummfilm-Reminiszenzen wie Zwischentiteln und der Wiedergabe ganzer Texte in optisch interpretierender Schriftgraphik, in genreübergreifenden Mischformen werden hier Längs- und Querschnitte durch Gegenwart und Vergangenheit gezogen, werden die disparatesten und scheinbar unbedeutendsten Details aus Film-, Theater-, Musik- und Zeitgeschichte, aus Gehirnforschung und Soziologie miteinander in immer neue Beziehungen gesetzt – offene Konstellationen, Rohstoffe, die erkennbar Spuren ihrer Bearbeitung zeigen und nicht zu bündig komsumierbaren, geschichtslosen Informationen geronnen sind, wie sie in anderen Kulturmagazinen vor virtueller Kulisse beflissen als Bildungsgut präsentiert werden.

Wie bei Kluges Filmen soll der Zuschauer sich auch hier ernst genommen fühlen und sich als potentieller Koautor begreifen. Auf solche Mitarbeit zielt bereits der Verzicht auf jegliche Moderation, auf jede direkte Ansprache des Publikums. Will der Zuschauer sich über die jeweiligen Inhalte informieren, so kann er diese in Stichworten einem Schriftband entnehmen, das am Anfang und am Ende jeder Sendung durchs Bild läuft.

Wo es keinen roten Faden mehr gibt, setzt sich, so das Kalkül, das Bedürfnis der Sinne nach Zusammenhang von selbst in Bewegung. Die Interviews, die Kluge führt, zeigen, was lebendige Kommunikation sein kann. Kluge läßt die Gespräche laufen; seine assoziative, Sachverhalte eher einkreisende Fragetechnik nimmt bewußt Umwege über scheinbar Nebensächliches in Kauf. Es sind die intimen Tonlagen, die Arbeitsmotive, Erfahrungskerne und libidinöse Bindungen freilegen – menschliche Maße, mit denen Zuschauer kommunizieren können, ohne überwältigt zu werden.

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