Später, wenn Zeit zum Erzählen ist

■ Wenn es ein postumes Erinnern gibt, warum dann keine pränatale Autobiographie? Wie die aussehen könnte, demonstriert der nicaraguanische Autor Sergio Ramirez mit „Maskentanz“

Masatepe ist eine kleine Stadt in Nicaragua, südlich von Managua, nicht weit entfernt von der Spitze des mächtigen Nicaragua-Sees, umgeben von Orten mit so klangvollen Namen wie Diriamba oder Jinotepe. Sergio Ramirez, einer der bekanntesten Autoren des mittelamerikanischen Landes, kam hier zur Welt. Mit seinem kürzlich auf deutsch erschienenen Roman „Maskentanz“ setzt er der Stadt ein literarisches Denkmal, indem er sie mit Garcia Márquez' imaginärem Macondo vermählt. Allerlei Figuren sind versammelt, die zum Personal des magischen Realismus zählen: ein fliegender Küster, eine Kräuterhexe, eine, die von den Toten wiederaufersteht. Auch was die Lust am Fabulieren angeht, steht „Maskentanz“ dem Vorbild aus Kolumbien in nichts nach. Seien es die Chinesen, die durch ein Loch im nicaraguanischen Boden nach Asien zurückkehren wollen, seien es die rätselhaften Tätowierungen auf dem Geschlechtsteil einer Nebenfigur: „Maskentanz“ birst vor Anekdoten, und wenn es an einer Stelle über eine Schwester des Protagonisten heißt, sie wisse „nur zu gut, daß das Leben genauso war wie die Romane der Romanschreiber, und noch toller“, dann weiß man sehr genau, daß das gelogen ist.

Als wolle er uns Stück für Stück einführen in den Mikrokosmos Masatepe, nimmt uns der Erzähler bei der Hand, zieht mit uns von Tür zu Tür, damit wir jede einzelne Figur persönlich kennenlernen. Doch kaum sind wir in seinem Gefolge um die Ecke gebogen, da dreht er uns schon eine Nase und eilt zur nächsten Episode, ohne die, mit der er gerade beschäftigt war, zu einem Ende zu bringen. „Wie man noch erfahren soll“, heißt es dann gerne, oder auch: „Es werden berichtenswerte Dinge geschehen, die später, wenn Zeit zum Erzählen ist, auch erzählt werden sollen.“ Nur ein einziger Tag, der 5.August 1942, ist für das pralle Geschehen vorgesehen, und wo weder Erzähler noch Protagonist zur Ruhe kommen, da kann ihnen der Leser nur keuchend hinterherstolpern.

Worum es geht? Um Hochzeiten und Todesfälle, um folgenschwere Fehltritte und heimliche Liebschaften, um die Liebe zum Alkohol und die Überwindung langjähriger Feindschaft. Um Pedro, der, weil ein Maskenball ins Haus steht, im Kostüm eines Beduinen durch die Stadt eilt, um bald zwischen Bewohnern, bald zwischen Handlungssträngen zu vermitteln. Und um die Geburt seines Kindes, deren Ankündigung sich als Leitmotiv durch die ersten sechs Kapitel des Romans zieht. Im siebten und letzten Kapitel ist es schließlich soweit: „Es ist ein Junge“, heißt es; die biblischen Konnotationen treten klar zutage. Zumal nicht allzuweit entfernt von Masatepe schon einmal ein Hoffnungsträger zur Welt kam, einer, der nach seinem gewaltsamen Tod zum Märtyrer und auch zum Messias stilisiert wurde: In Niquinohomo, einem Nachbardorf, wurde 1895 Augusto C. Sandino geboren, erster Guerillero Lateinamerikas und Namenspatron für die Befreiungsbewegung, die die Diktatur des Somoza-Clans stürzte.

Doch der, der in „Maskentanz“ das Licht der Welt erblickt, ist weit davon entfernt, ein neuer Erlöser zu werden. Sergio soll er heißen, mit Nachnamen Ramirez, ganz wie der Autor selbst, und sein Geburtstag, eben der 5. August, an dem sich der Roman entspannt, ist auch Ramirez' Geburtstag. Die Arbeit des Autors ist getan, wenn sein Alter ego den ersten Schrei tut. „Maskentanz“ ist demnach nicht nur eine Reminiszenz an die bekannten Formen lateinamerikanischer Erzählkunst, es ist auch ein Lebensbericht, der mit der Geburt endet: eine – wenn man denn so will – pränatale Autobiographie. Cristina Nord

Sergio Ramirez: „Maskentanz“. Aus dem Spanischen von Lutz Kliche. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1998, 248 Seiten, 34 DM