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Splitterbilder der Erinnerung

■ Flucht aus der totalen Institution: Die Zinnschmelze zeigt Collagen des Santa-Fu-Häftlings Wolfgang Glissmann

Wenn man in einer totalen Institution lebt, sind die durch den Fleischwolf der Medien gedrehten Informationen der wichtigste, manchmal der einzige Kontakt mit der Außenwelt. Der Knast ist so ein abgeschlossener Mikrokosmos: ein Einschließungsmilieu mit eigenen Verhaltensregeln und Wahrnehmungsmustern. Fragmentarisch bleibt daher das Bild der Gefangenen von den Wirklichkeiten, in die sie durch die Isolation zurücksozialisiert werden sollen. Für einen von ihnen, Wolfgang „Jojo“ Glissmann, sind die gedruckten Medienbilder zum Steinbruch eigenen Tuns geworden. Abends sitzt er in seiner Zelle, zerschneidet Zeitschriften und komponiert aus den Schnipseln Klebebilder, mit denen er die Risse, die sich zwischen dem eigenen Erleben und den bunten Werbebotschaften auftun, sichtbar machen möchte. In der Ausstellung Funksignale – Unterhalb des sozialen Netzes präsentiert die Zinnschmelze eine Auswahl seiner Collagen.

Für den 47jährigen sind Collagen die kostengünstigste Variante, im Knast künstlerisch tätig sein zu können. Außerdem lassen sich Ideen damit schnell umsetzen: „Schubweise“, sagt er entstehen die Arbeiten, „manchmal 30 bis 40 an einem Abend“. Glissmann ist „LLer“, wie die zu lebenslanger Haft Verurteilten im Knastjargon bezeichnet werden. Mehr als tausend Collagen sind im „Atelier Glissmann“, einem badezimmergroßen Rechteck in Hamburgs Haftanstalt Santa Fu in den letzten zehn Jahren entstanden. Die Produktivität entstammt den zwanghaften Umständen, die auch den Bildern eingeschrieben sind. Augen, Hände oder Schlüssel als wiederkehrende Motive gerinnen zu plakativen Symbolen.

Für Glissmann steckt in der kleinformatigen Schneidekunst vielerlei: Sie hilft, Frust zu kompensieren, konfrontiert ihn aber auch mit einem „Ozean von Schuldgefühlen“. Und sie fokussiert Träume und Perspektiven zukünftigen Arbeitens: Er möchte gern CD-Cover gestalten oder in der Werbung arbeiten. Wenn das nicht klappt, „mache ich Kinderzimmer mit Wandbildern zu Erlebnishöhlen“, plant der gelernte Maler.

Wichtig ist ihm, Kontakt mit der Außenwelt des Knastes aufzunehmen. „Collagen sind Splitterbilder der Erinnerung. Für mich verblaßt die Erinnerung an das, was man Leben nennt, und so sind meine Collagen meine Ausdrucksform geworden, weil ich keine Sprache mehr finde“, schreibt Jojo Glissmann in seinem Lebenslauf. Und fügt im Gespräch hinzu: „Es ist das Medium, um mich selbst zu fangen.“

Thomas Schulze

bis 31. August, Zinnschmelze, Maurienstraße 19, täglich ab 11 Uhr

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