: Mal sehen, was zu hören ist
■ Verständnisnöte: Blohm und Voss bei der Performance von Les Reines Prochaines
Nicht ohne Verwunderung entdecken wir zwei ältere Herren namens Blohm und Voss unter den Besucherinnen einer Hörspielperformance der Schweizer Gruppe Les Reines Prochaines mit dem Titel „Sandale Haus Pfirsich Brot“. Die Verwunderung legt sich ein wenig, als Blohm und Voss am Ende der Veranstaltung unter brandendem Applaus, der keineswegs ihnen gilt, den Saal verlassen.
Voss: Ich hatte ja gleich Bedenken.
Blohm: Mir sagte man, es werde interessant. Haben Sie schon einmal ein Hörspiel gesehen?
Voss: Nicht wirklich. Aber ich habe das auch nie für eine gute Idee gehalten.
Blohm: Ich muß vielmehr gestehen, und ich tue das ungern, daß ich nicht verstanden habe, was die Künstlerinnen uns sagen wollten.
Voss: Ich vermute, gerade uns wollten sie nicht unbedingt etwas mitteilen.
Blohm: Mag sein, aber ich habe schon manches verstanden, was nicht für mich bestimmt war. Nun weiß ich nicht: Ist es meine Unzulänglichkeit, die mir das Verständnis verwehrt, oder die des Stückes. Der begeisterte Applaus legt ersteres nahe.
Voss: Als aber erzählt wurde, daß die Tierhaarverarbeiterin auch zwei Kraushaarkatzen hält, aus deren Behaarung sie Brust- und Schamhaar für die Ganzkörpermasken gewinnt, in die Frauen schlüpfen können, wenn sie wie Männer aussehen wollen, haben zum Beispiel fast alle gelacht. Sie wollen mir nicht weismachen, Sie hätten da nicht gelacht, weil Sie die Pointe nicht verstanden haben?
Blohm: Wo Sie recht haben, haben Sie recht. Nur ändert das nichts daran, daß ich nicht weiß, worum es ging.
Voss: Um Identität.
Blohm: Sicherlich. Schließlich tauchten ja elementare Fragen unserer Existenz auf: Wo sind wir? Wohin gehen wir?
Voss: Wir könnten etwas trinken gehen.
Auf der Suche nach einer Kneipe stellen sie fest, daß die allgegenwärtige Fußball-WM einen gepflegten Plausch erschwert.
Blohm: Hätten wir nicht in Kultur gemacht, wäre uns nichts geblieben als Fußball.
Voss: Zu sehen, wie Deutschland verliert, müßte Ihnen doch Spaß machen.
Blohm: Keineswegs, auch wenn ich denke, daß uns so einiges erspart bliebe. Der kroatische Patriotismus findet schließlich anderswo statt.
Voss: Jedenfalls nicht bei den Damen vorhin. Die ganze Zeit verkleideten sich Frauen in Männer, Männer wurden von Frauen gespielt, es wurde gesagt, daß Geschlechter nur Erfindung sind, und im Programm wurde gefragt, ob wir unseres Geschlechtes sicher seien.
Blohm: Ich sage ja, ich habe das Stück nicht verstanden.
Voss: Man möchte fast meinen, Sie wollten sich der Frage nicht stellen.
Blohm: Das ist nicht ganz falsch. Warum soll ich mir Gedanken darüber machen, ob ich ein Mann bin? Spielt das eine Rolle?
Voss: Es wurde aber auch zugegeben, daß beispielsweise die Butch- und Femme-Aufteilung in lesbischen Beziehungen mittlerweile toleriert wird als nur eine von einer Vielzahl möglicher individueller Ausformungen ...
Blohm: Bitte! Seien Sie mir nicht bös', aber ich hasse diese postmodernen Auflösungen von allem in alles außer in mein Wohlgefallen. Da! Hupende Autos mit wehenden kroatischen Fahnen. Das heißt, daß wir jetzt in eine Kneipe gehen können, ohne von siegestrunkenen Nationalisten behelligt zu werden. Da können wir, ganz individuell, Getränke bestellen und überlegen, wer von uns der Butch und wer die Vemme, äh Femme ist.
Voss: Oder uns über die Verstandesumgebung unterhalten, von der die Rede war.
Blohm: Wäre die Rede doch von Verstand gewesen, dann könnten wir gern darüber reden. So möchte ich lieber davon schweigen.
Voss: Wenn das so ist, dann Prost!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen