Der rätselhafte Tod des russischen Generals

Seine eigene Frau will angeblich General Rochlin erschossen haben. Doch sein Tod kommt auch anderen gelegen  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

„Es regnete stark, wir haben nichts gehört.“ So antworteten die Nachbarn nach der Nacht zum Freitag, in der General Ljew Rochlin auf seiner bescheidenen Datscha erschossen wurde. In Rußland verschließen die meisten Zeugen von Straftaten hartnäckig ihre Augen, Ohren und Münder, wenn sie davon ausgehen müssen, daß die untersuchenden Sicherheitsorgane eine bestimmte Tatversion favorisieren. Fest steht, daß Rochlins Tod der russischen Regierung gelegen kam. Diese Woche wollte der 51jährige einen Sternmarsch frustrierter Offiziere nach Moskau organisieren.

Außerdem wurde der Kopf des Generals, der seinerzeit den Sturm auf den Palast des Tschetschenenführers Dudajew organisierte, von tschetschenischen Freischärlern gefordert. „Wenn man mich ermordet, wird bald herauskommen, wer die Auftraggeber waren“, sagte Rochlin kürzlich. Er äußerte sich nicht dazu, wer die Ausführenden sein könnten. Nun, da die Tat wirklich geschehen ist, hat sich seine Frau Tamara zu ihr bekannt.

„Endlich habe ich getan, was ich wollte.“ Mit diesen Worten soll Tamara Rochlina am Freitag früh um vier Uhr den bis dahin schlafenden Bodyguard ihres Mannes geweckt haben. Dies berichtete die Tageszeitung Kommersant, privilegiert vom Geheimdienst FSB (früher KGB) informiert.

Aber auch viele andere Presseorgane sind sich wenigstens in einem Punkt einig: Bei den Rochlins hatte sich genug Zündstoff angesammelt, um einen Mord auszulösen. Wie in einem Brennglas bündelten sich in der Generalsfamilie Probleme der sowjetischen Gesellschaft und des modernen Rußland: Die Armut der von Stalin Verbannten. Das Elend der unzähligen alleinerziehenden Mütter. Eine Armee, die ihre Soldaten seit jeher ins Verderben schickte, ohne sich groß um deren Familien zu kümmern. Die wieder zunehmende Juden-Diskriminierung. Alkoholismus auf der einen Seite und auf der anderen: eine Billigst- Medizin, deren gynäkologische Pfuscher allzu vielen Kindern schon bei der Geburt mit der Zange eine cerebrale Lähmung verpaßten und verpassen.

Generalsfamilie als russischer Mikrokosmos

Ljew Rochlin wurde als Sohn von Verbannten in einer öden Steppe geboren. Wenig später verließ der Vater die Mutter. Von ihr hörte Ljew viele Flüche gegen die männlichen Nichtsnutze. Er selbst mußte, sobald er dazu fähig war, seiner Familie das Mittagessen erjagen und erfischen. Als er zum ersten Mal einen Laubwald erblickte, konnte sich Ljew vor Begeisterung nicht fassen. Der Armee trat er bei, weil dort die Kleidung und das Stipendium umsonst waren. „Ich habe wenig Schönes in meinem Leben gesehen“, sagte er später. Zum Schönsten, was er sah, gehörte seine Frau Tamara.

Dreißig Jahre lebte das Paar zusammen, 23mal zog die Familie in dieser Zeit um – und fast immer an die unattraktivsten Dienstorte: in die Wüste oder an den Polarkreis. Als die Tochter schon ein Teenager war, wurde noch ein Sohn geboren. Der Nachzügler Igor war behindert und erkrankte später an Gehirnhautentzündung. Damals waren die Rochlins umzingelt – im aserbaidschanischen Nachitschewan. „Hätte ich in dieser Situation Frau und Kind ausfliegen lassen, hätten meine Leute dies als Flucht mißinterpretiert“, erinnerte sich Rochlin. Und er behauptete: „Tamara selbst wollte bleiben.“

Die Familie trennte sich nur während Rochlins Einsatz in Afghanistan. Den Titel „Held der Sowjetunion“ erhielt Rochlin nur wegen seines jüdischen Familiennamens nie, von dem er sich niemals lossagen wollte.

Nach dem Tschetschenienkrieg lehnte er selbst schon alle Orden ab. Sein oppositionelles politisches Engagement wurde zum eigentlichen Zündstoff in der Familie. Der Schwiegersohn Abakumow klagte, staatliche Inspektoren kontrollierten für nichts und wieder nichts sein Geschäft. Der General mied die einfache Datscha und übernachtete immer häufiger in der Moskauer Innenstadt.

Am Donnerstag abend hatte er versprochen, den 15. Geburtstag des kranken Sohnes Igor mitzufeiern, aber wegen anderer Termine verspätete er sich um Stunden. Tochter und Schwiegersohn waren die einzigen Geburtstagsgäste am Donnerstag abend gewesen. Nun erklären sie, die Mutter habe durch ihr Geständnis andere Familienmitglieder schützen wollen. Etwa die so Aussagenden selbst? Oder sollte der schwerbehinderte Sohn der Rochlins die Tatwaffe gezogen haben – eine Pistole mit doppelter Sicherung?

Der General – soviel steht fest – litt unter starken Schuldkomplexen gegenüber seiner Familie. Über Tamara Rochlina sagte er: „Ihre Liebe habe ich wahrscheinlich nicht verdient“, und als seinen größten Erfolg bezeichnete der General: „daß ich so lange überlebte“.