: „Irgendwas Günstiges“
Skandal! Städtischer Sanierungsträger will taz-Gebäude abreißen. Muß obdachlose Redaktion nun ins Interrast? ■ Von Heike Haarhoff
Über den abgetretenen grünlich-speckigen Teppichboden sind schon Politstars wie der Grüne Joschka Fischer zu Interviewterminen geschritten. Im Blumentopf im Konferenzsaal kohabitieren eine Palme und Zigarettenstummel, Zeugnis basisdemokratisch-abendlicher Plena. Die Heizung läuft aus Tradition nicht, dafür weht stets eine frische Brise auch durchs geschlossene Fenster. Der Blick hinaus fällt unvermeidlich auf das Graffito „taz lügt“, und Hamburgs Ex-Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem beurteilte diesen Ort des „kreativen Chaos“ bei einem Redaktionsbesuch einst als schützenswertes Gut.
Doch nun soll das stadtteilprägende taz-Redaktionsgebäude in der Chemnitzstraße 78 in Altona, Denkmal der Abschreckung für alle angehenden Architekturstudenten, den Abrißbaggern zum Opfer fallen. Ausgerechnet ein städtischer Sanierungsträger, die Stadterneuerungsgesellschaft (Steg), will den identitätsstiftenden Hort für 25 Beschäftigte plattmachen: „Wir“, sagt Steg-Sprecher Rüdiger Dohrendorf, „haben die Berührungsängste, was Abriß angeht, abgebaut.“
Schon im kommenden Jahr will er das taz-Haus, einer der wenigen erhaltenen 50er-Jahre-Bauten im Viertel, durch ein „schickes Modell“ ersetzen: Geplant ist ein langgezogener, zweigeschossiger Neubau, oben mit Staffeldach und unten mit Tiefgarage, der sich nicht nur über das taz-Grundstück, sondern auch über das benachbarte unbebaute Eckgrundstück erstrecken würde. „Die Ecke allein“, begründet Dohrendorf das Vorhaben, „war als Baufläche für keinen Investor attraktiv.“
Jetzt aber ziehen die Stadt und zwei private Bauherren, die satte 9,5 Millionen Mark in den neuen Palast stecken wollen, an einem Strang: Auf 2800 Quadratmetern sollen ein Supermarkt (Dohren-dorf: „irgendwas Günstiges“), ein Café, ein türkisches Theater und eine Arbeitslosen-Beratungsstelle Platz finden.
Selbst der Bauwagen-Platz hinterm taz-Haus, mimt Dohrendorf den Barmherzigen, dürfe „trotz der Baumaßnahme“ als „erhaltenswürdiges Objekt“ bleiben. Die taz jedoch, soviel steht fest, muß raus, vorübergehend jedenfalls und mindestens für ein Jahr. Aber, beruhigt Dohrendorf: „Als sanierungsbetroffener Betrieb kriegt ihr immerhin den Umzug finanziert und einen Ersatzstandort angeboten.“ Die Rückkehr in die Chemnitzstraße sei keineswegs ausgeschlossen, behauptet der Steg-Sprecher.
Viele fürchten damit einhergehend eine Yuppisierung des Blattes, das womöglich bald auf Hochglanz erscheinen müsse. Schließlich steigen nach jeder Stadterneuerung, und sei sie noch so behutsam, bekanntlich die Mieten empfindlich. Dohrendorf: „Dann könnt ihr eben nur 100 Quadratmeter mieten, dafür ist's dann auch gemütlicher.“
Die von Obdachlosigkeit bedrohten tazlerInnen haben eine Initiative „Eine Redaktion steht auf: Chemnitzstraße abreißen heißt die Pressefreiheit abschaffen“ gegründet. Nach noch unbestätigten Berichten soll Willi Bartels, der Immobilienkönig von St. Pauli, bereits spontane Hilfe zugesagt haben: Im Interrast an der Reeperbahn sei derzeit ziemlich viel Platz, außerdem habe das ehemalige Stundenhotel „als Unterkunft für Flüchtlinge und andere Vertriebene Tradition“.
Die Überlegung der Redaktion, den Standort eventuell nach Bergedorf zu verlegen, weil dort die größten Erschließungsflächen dieser Stadt liegen, scheiterte am Hinweis eines prominenten GAL-Abgeordneten, der ungenannt bleiben möchte: Nach 23.30 Uhr, so warnte er, sei Bergedorf bestenfalls noch umständlich mit Nachtbussen zu erreichen.
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