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Todessehnsüchtig

Die unbehausten Menschen in den Filmen Wong Kar-Wais, von dem jetzt zwei Frühwerke erstmals ins Kino kommen  ■ Von Christian Buß

Keine Ahnung, wie man so viel Dresche so leicht wegsteckt. Ah Wa und Fly jedenfalls stehen schnell wieder recht aufrecht da, nachdem man ihnen etliche Male die Rippen ramponiert hat. Das muß wohl so sein, weil die Gewalt in As Tears Go By sich nicht wie eine Spirale nach oben schraubt, sondern als einzige Konstante diesen narrativ und atmosphärisch stetig changierenden Film durchzieht. Wenn auch ansonsten nichts gewiß ist: Der nächste Schlag in die Fresse kommt bestimmt.

Wong Kar-Wais As Tears Go By war zuvor noch nie in Deutschland zu sehen, für Kinogänger sind Ah Wa und Fly trotzdem alte Bekannte. Was daran liegt, daß sie wie Wahlverwandte der Helden aus Martin Scorseses Milieu-Klassiker Mean Streets handeln: Der eine geht mit geradezu selbstzerstörerischem Eifer Gangsterbossen auf die Nerven, der andere hält mit ebenso selbstzerstörerischem Eifer zu ihm. In Mean Streets wurden die beiden Freunde auf Leben und Tod 1974 von Harvey Keitel und Robert De Niro verkörpert, die waren danach Stars. In As Tears Go By spielen Andy Lau und Jacky Cheung die Hauptrollen, sie sind inzwischen zentrale Gesichter des Hongkong-Kinos. Die Handlung und Inszenierung gleicht sich bis in Details, etwa wenn die Kamera eine genial choreographierte Schlägerei in einem Billardsalon einfängt. Entfesselung, Slowmotion, Pop-Zitate, radikale Unter- und Oberperspektiven – Wong Kar-Wai übernimmt Scorseses ästhetisches Vokabular. Aber gleichzeitig auch dessen juvenilen Impetus, sich unentwegt neues zu erschließen. Digital manipuliert der Starregisseur aus Hongkong sein Material, taucht Passagen in monochrome Töne, und wenn sich die Helden vor Liebe verzehren, löst sich das Bild schon mal in gleißendem Weiß auf. Die Dynamik ist enorm: Lethargie und Leidenschaft wechseln unablässig, Sehnsucht ist hier immer Todessehnsucht. Am Ende werden die beiden Freunde von Kugeln zerfetzt. Romantisch. Hoffnungslos romantisch.

Wong Kar-Wai psychologisiert wenig, und er überhöht die Handlung auch kaum ins Metaphysische. Vielleicht ist das der Grund, weshalb As Tears Go By 1989 zwar in Cannes gezeigt wurde, aber keinen Verleih gefunden hat. Denn wie soll man umgehen mit einem Film, der sämtliche Kategorien der Goutierbarkeit durcheinanderwirbelt; der Gewalt zwar vor einem real existierenden Hintergrund darstellt, Hongkongs Rotlicht-Distrikt Mong Kok nämlich, die Gewalt dann aber radikal ästhetisiert. Erst mit Chungking Express und Fallen Angels, ebenfalls im nächtlichen Hongkong angesiedelt, vermochte sich Wong Kar-Wai auch in Amerika und Europa durchzusetzen. Die beiden Filme sind jetzt noch einmal aufgrund des Kinostarts von As Tears Go By im Abaton zu sichten.

Ebenfalls erstmalig im Kino zu sehen ist Days Of Being Wild. Und wer bislang geglaubt hat, daß sich der Personalstil des inzwischen 40jährigen auf entfesselte Kameras und Cutup-Technik beschränkt, wird hier eines besseren belehrt. Nach dem beachtlichen kommerziellen Erfolg, der As Tears Go By zumindest in Hongkong beschert war, hatte Wong Kar-Wai bei der Produktion 1990 beinahe freie Hand. Er engagierte die teuersten Stars der Filmmetropole – und inszenierte mit beinahe kontemplativer Ruhe. Erst am Ende geht er von der Bremse, läßt die Kamera umso absurder kreisen. Am liebsten hätte Wong Kar-Wai in Schwarzweiß gedreht, aber das war den Geldgebern dann doch zu riskant. Weshalb der Regisseur die Farben bläßlich hält, und das kommt dem trostlosen Klima zupaß: Erratisch treiben die Figuren durch die Nacht und verlieren ihr Herz immer an die Falschen. Nur der Playboy Yuddy, verkörpert vom unwirklich schönen Leslie Cheung, liebt niemanden. Wie gekonnt unfreundlich hier die Räume in Szene gesetzt sind, mit welch traumwandlerischer Sicherheit noch jede Figur am persönlichen Glück vorbeischreitet – das ist typisch Wong Kar-Wai. Seine Helden sind allesamt Unbehauste.

Um die menschenüberfüllten und glücklosen Straßen und Imbisse von Hongkong hinter sich zu lassen, drehte Wong Kar-Wai seinen letzten Film, Happy Together, in Argentinien. Aber die Helden straucheln hier wie ihre Vorgänger in anderen Filmen auch, die Zimmer sehen weiterhin aus wie Zellen. Hongkong ist überall.

As Tears Go By: Do, 9. bis Mi, 15. Juli, 21.30 Uhr. Außerdem Mo, 13. bis Mi, 15. Juli, 15.30 Uhr Chungking Express: Mo, 13. + Di, 14. Juli, 22.15 Uhr; Do, 16. + Fr, 17. Juli, 15.15 Uhr. Fallen Angels: Di, 21. + Mi, 22. Juli, 22.45 Uhr. Days Of Being Wild (voraussichtlich): Do, 23. bis Mi, 30. Juli, 21.45 Uhr. Alle Filme laufen im Abaton.

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