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Großartig – hingehen

■ Berliner Jugendtheatergruppe „Strahl“ zeigt das gute Stück „Gleich knallt's!“

Ein Theaterstück über die erste Liebe. Und über das Coming Out eines Schwulen. Und zudem noch über Arbeitslosigkeit, Schulprobleme, Faschos, Streß mit den Eltern, Dicksein und Ausländerhaß. Wahrscheinlich ist die Aufzählung nicht einmal vollständig. Kurzum: ein Stück über mindestens alle Probleme dieser Welt. Und das auch noch speziell aufbereitet für die Zielgruppe Jugendliche – man muß kein Schelm sein, angesichts dieser Inhaltsangabe Böses auf sich zukommen zu sehen.

Jedoch: weit gefehlt! „Gleich knallt's“, das neue Stück der Berliner Jugendtheatergruppe „Strahl“, ist wunderbar. Großartig. Und mindestens einmalig. Und Nadine Wrietz, Bettina Stäbert, Alfred Hartung, André Fischer und Wolfgang Stüßel – die fünf Strahl-SchauspielerInnen, die in anderthalb Stunden zwanzig verschiedene Rollen auf die Bühne der Shakespeare Company bringen – sind schlicht gute SchauspielerInnen.

Caro, die dickste Songwriterin nördlich des Äquators, träumt davon, ein Lied zu schreiben, das die Welt verändert. Für einen kurzen Augenblick träumen ihre SchulfreundInnen mit ihr: Der Schlagzeuger Börnie, der in Caros beste Freundin Lena verknallt ist. Und der Posaunist Golzo, der seinerseits den russischen Mundharmonikaspieler Boris liebt. Die fünf streiten und vertragen sich, erzählen von ihren zahllosen Sehnsüchten und nicht minder zahlreichen Sorgen.

Man erahnt Familien, wo das Zusammenleben durch „Wir sehen uns übermorgen“-Zettel auf dem Küchentisch ersetzt worden ist – und man sich noch glücklich schätzen darf, nicht Börnies Alten zum Vater zu haben, der im wahrsten Sinne des Wortes jeden Satz in seinen verhaßten Sohn hineinprügelt. Und man sieht die Schmetterlinge im Bauch von Börnie und Lena. „Ich find' dich irre.“ Ein Kuß. „Tschüß dann.“ Poesie wie sie schöner nicht sein kann. Am Ende bleibt davon nichts. Irgendwann freunden Boris und Lena sich an. Börnie braust auf, sagt all diesen Mist, den sein neuer Nazifreund Siggi zu sagen hat, und übt sich mit seinen neuen rechten Kumpeln im „Klatschen“ von Schwulen.

Klingt ein wenig nach Scherenschnitt? Mag sein. Und doch ist „Gleich knallt's“ das Gegenteil davon: Voller Leben, kluger Dialoge und Figuren, die nichts weniger sind als die Projektionsflächen engagierter SozialarbeiterInnen.

„In Ostberlin“, erzählt Wolfgang Stüßel nach der Aufführung, „spielen wir das Stück vor Schulklassen, wo in der Regel mindestens 50 Prozent faschistische Glatzen sitzen.“ Und wenn im Stück die Nazisprüche von Börnie und seinen Kumpeln zu hören sind, „jubelt der Saal – vor Begeisterung“. Ach ja: Dem Theater Strahl droht das Aus. Der Berliner Kultursenat hat für sowas kein Geld mehr übrig. zott

Heute und morgen um 10.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz

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