Herzinfarkte erschüttern Nigeria

■ Nur einen Monat nach Militärdiktator Abacha stirbt auch Oppositionsführer Abiola angeblich an Herzversagen. Eine friedliche Demokratisierung wird unwahrscheinlicher, in Lagos herrscht Gewalt mit ethnischen Untertönen

Berlin (taz) – In Nigeria droht nach dem überraschenden Tod des Oppositionsführers Moshood Abiola ein Bürgerkrieg. Seit die Militärregierung am Dienstag abend Abiolas Tod bekanntgab, erschüttern schwere Unruhen seine Heimatregion um Lagos. In Reaktion auf die Krise erklärte Juntachef Abdulsalam Abubakar gestern seine Regierung für aufgelöst.

Abiola, Sieger der vom Militär annullierten Präsidentschaftswahl von 1993, war seit vier Jahren inhaftiert. Am Dienstag nachmittag brach er während eines Treffens mit US-Diplomaten an seinem Haftort zusammen und starb anderthalb Stunden später in einer Klinik. Nigerias Regierung erklärte daraufhin, Abiola sei „offenbar an Herzversagen“ gestorben, was die US-Regierung zunächst bestätigte. Am 8. Juni war bereits Militärdiktator Sani Abacha an Herzversagen gestorben.

Nachdem Abiolas Tod bekannt wurde, versammelten sich Hunderte aufgebrachter Jugendlicher vor seinem Anwesen in Lagos und riefen Parolen wie „Sie haben ihn umgebracht. Das gibt Krieg!“ In der Nacht brachen Unruhen vor allem in solchen Stadtvierteln aus, wo Einwanderer aus dem Norden Nigerias leben. Augenzeugenberichten zufolge kam es vereinzelt zu Pogromen an Nordnigerianern. Ein Geschäftsmann soll geköpft und seine Leiche durch die Straße getragen worden sein. Nach offiziellen Angaben forderte die nächtliche Gewalt elf Tote.

Die Proteste gingen gestern weiter. „Die Leute demonstrieren seit der Nacht auf den Straßen“, berichtete am Mittag die Mitarbeiterin einer Zeitung in Lagos und fügte hinzu: „Örtliche Gangster nutzen die Gelegenheit, um die Leute auszurauben. Sie schlagen die Leute und sammeln Geld von Leuten, die keines haben.“ Der öffentliche Nahverkehr fiel aus, so daß viele Geschäfte geschlossen bleiben mußten. In mehreren Stadtvierteln kam es zu Straßenschlachten zwischen Demonstranten und der Polizei. Auch in anderen Städten nahe Lagos kam es zu Unruhen. So sollen in Abeokuta fünf bis sieben Menschen getötet worden sein.

In Lagos sollen jetzt Parolen wie „Abiola ist tot – Nigeria ist tot“ zirkulieren. Politische Führer des Yoruba-Volkes, das in der Region um Lagos konzentriert ist und zu dem Abiola gehörte, propagieren seit langem, daß Nigeria von Militärs und Geschäftsleuten aus dem muslimischen Norden beherrscht werde, die eine friedliche Demokratisierung nicht zuließen. Daher müsse das Land zwischen den Ethnien geteilt werden. Der Tod Abiolas wird von vielen als endgültiger Beweis für diese These gesehen. „Wir haben kein Land mehr“, sagt Bolaji Aluku, Führungsmitglied der von Wole Soyinka geführten Exilorganisation UDFN (Vereinigte Demokratische Front Nigerias). „Nigeria ist tot. Wir müssen jetzt beginnen über die Spaltung des Landes zu verhandeln.“

Abiolas Familie äußerte gestern Zweifel an der offiziellen Todesversion. Möglicherweise sei Abiola vergiftet worden; zumindest aber sei die Vernachlässigung des schwer diabeteskranken Häftlings für seinen Tod verantwortlich, sagten seine Ehefrauen und Töchter. Die Regierung ordnete eine Obduktion der Leiche an, die noch gestern erfolgen sollte. Abiolas Hausarzt Ore Falumu lehnte dies ab und sagte, eine richtige Obduktion müsse von unabhängigen Ärzten außerhalb Nigerias vorgenommen werden. Dominic Johnson, Peter Donatus

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