Die Alten sind zurück

■ Der Illusionist Jérôme Savary plaudert über Theateranarchie, Zirkus und seinen reanimierten Magic Circus – Old Stars am Thalia Theater

Er ist immer unorthodox gewesen, immer die gelungene Mischung aus Zauberer und Clown, unernst und locker, und gerade deshalb so ein Erfolg auch im Estab-lishment: Jérôme Savary, von dem die Zeit schon vor zehn Jahren schrieb: „Früher brachte er das Theater in Gefahr, heute bringt er es aus der Gefahr – wo immer ein deutsches Stadt- und Staatstheater kriselt und lahmt, holt man sich den furiosen Franzosen als Animateur.“

Ende der 60er Jahre zeigte er bei Arrabals Labyrinth, wie er sich Theater vorstellt, als „ThéÛtre Panique“, also als panisches Theater. Bald darauf war der Grand Magic Circus et ses animaux tristes geboren, der Savary berühmt machte. „Wir haben uns damals Grand Magic Circus genannt, weil ich das Wort Theater nicht mochte“, erklärt Savary heute. „Zu jener Zeit hatte dieses Wort sehr literarische Konnotationen. Was ich am Zirkus mag, ist, daß jeder mit seiner eigenen Nummer ankommt. Jeder arbeitet für sich, und das Gesamte ergibt am Ende das Spektakel. Was ich am Zirkus aber überhaupt nicht mag, ist seine soziale Organisation. Im allgemeinen ist ein Zirkus unglaublich hierarchisiert, sehr machistisch, patriarchalisch.“

Der Grand Magic Circus habe, wenigstens laut Savary, als erste in der heutigen Zeit Theater mit Elementen des Zirkus gemischt. „Die Truppe hat dabei immer vor allem aus Schauspielern und Musikern bestanden, die selber auch Zirkusnummern vorgeführt haben.“

Seit sieben Jahren ist Jérôme Savary nun schon Direktor des gewichtigen ThéÛtre National de Chaillot in Paris. Die Arbeit am Grand Magic Circus war seitdem unterbrochen. Doch während er an großen Staatsbühnen große Inszenierungen hinlegte, spürte Savary immer deutlicher das Verlangen, zum Zirkus zurückzukehren; die billigere, leicht transportierbare Magie wieder auszuprobieren und zu tingeln. Mit einigen alten Freunden, „dem harten Kern, wie Balladur sagen würde“, begann er schon acht Monate vor den ersten Aufführungen zu probieren. „Wir haben das nebenbei gemacht, alle hatten andere Jobs. Aber es hat funktioniert. Als wir dann im Mai wieder auf Reisen gingen, war das wie das Weiterführen von etwas, das wir nie wirklich beendet hatten, und keine Rückkehr zu Vergangenem. Wissen Sie, es ist wie diese Tiere, die Winterschlaf halten und dann eines Tages wieder aufwachen und einfach weitermachen. Ich bin erneut mit großer Freude auf Tournee – und mit derselben, alten Leichtigkeit.“

Früher reiste die Truppe mit fast dreißig Akteuren und Technikern. Heute reist Savary mit sechs Ak-teuren, sechs Musikern sowie der Technik. „Die, mit denen ich auftrete, sind meine ältesten Freunde und Mitarbeiter, Leute, mit denen ich praktisch zusammenlebe. Dussarrat, zum Beispiel, macht zu allen meinen Inszenierungen die Kostüme.“

„Unsere Revue um die Striptease-Tänzerin Nina Stromboli“, plaudert Savary über das Theater und über Zirkus, „ist eine Art fiktiver autobiographischer Geschichte, wissen Sie. Ich heiße im Stück auch Savary. Es fängt so an, daß ich alt bin und mich aus der Theaterwelt aufs Land zurückgezogen habe. Doch eines Tages mache ich mich mit Carlos Pavlidis auf ins Abenteuer. Wir suchen eine Frau für unsere Truppe, aber keine will mit uns fahren. Wir engagieren dann diese junge Striptease-Tänzerin namens Nina Stromboli. Die Revue erzählt also die Entstehung unserer neuen Revue und unser Werben um Nina.“ Am Ende des Spektakels soll sie dann eigentlich einen der alten Clowns wählen. Doch sie entscheidet sich für einen amerikanischen Boxer. „Das ist eine klassische, einfache Geschichte,“ sagt Savary, „die es uns aber erlaubt, das Publikum zum Lachen zu bringen und zugleich zärtlich und traurig zu sein.“

Getragen wird die Story um die 22jährige Tänzerin aus dem Crazy-Horse-Saloon von der Musik – und nicht nur auf der Bühne: „In Hamburg werden wir schon vor dem Stück ein 'Aperitif-Konzert' vor dem 'Paquebot' geben, etwa eine Stunde vor den Aufführungen, das können Sie schon mal ankündigen. Und nach dem Stück spielen wir Jazz.“

Bis ins nächste Jahr will der Theaterdirektor noch mit seiner Truppe durch die Länder ziehen. Schon nach den ersten Aufführungen in der Schweiz war klar: Die Magie stellt sich wieder ein. Vielleicht, weil Savary ihr größere Freiräume läßt: „Ich bin gegen die Perfektion; auch Nina ist ein eher anarchisches Spektakel“, sagt er. „Das Theater tendiert heute zu immer reglementierteren Aufführungen, wie auf Millimeterpapier entworfen. Ich denke aber, daß das nicht richtig ist, daß das Theater anarchisch sein muß und sich außerdem im Zusammenspiel mit dem Publikum weiterentwickelt. Man wird es verfolgen können: Auch in Hamburg wird kein Abend so sein wie der vorige. Eigentlich könnte mach für jeden Abend Karten lösen, und das Stück wäre immer wieder anders. Wir spielen auf englisch, deutsch und französisch. Aber verstehen könnte man uns auch, wenn man kein Wort versteht!“

Thomas Plaichinger 19. bis 27. Juli, Thalia Thater, jeweils 20 Uhr