: Boom in der betriebsratsfreien Zone
■ Call Center suchen in Bremen kurzfristig 300 MitarbeiterInnen auch für hochwertige Jobs / Gewerkschaften wollen nicht Verhinderer sein, aber Tarifverträge und Betriebsräte durchsetzen
Bis zu 250 Mal am Tag klingelt das Telefon. Geschuftet wird im Schichtdienst rund um die Uhr zu manchmal mäßigen Löhnen: Die Arbeit im Call Center ist kein reines Zuckerschlecken. Andererseits entstehen in den Dienstleistungen per Telefon auch viele neue Jobs. In Bremen sind noch in diesem Jahr mindestens 300 Vollzeitarbeitsplätze zu vergeben. In Niedersachsen arbeiten rund 8.000 Menschen in der Branche.
Tarifverträge oder Betriebsräte sind jedoch in der rasant wachsenden Branche die absolute Ausnahme. „Ein brennendes Thema für die Gewerkschaften“, sagt die Kreisvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Helga Ziegert. Der DGB wolle nicht „Verhinderer“ sein, so der Tenor einer Fachtagung des DGB im Bremer Airport-Hotel. Man begrüße die neuen Jobs im Dienstleistungsbereich, die oft an Frauen und BerufsrückkehrerInnen gingen.
„Aber wir wollen richtige Sozialstandards in den Betrieben einführen“, ergänzt der Landesvorsitzende Niedersachsen/Bremen, Hans-Hermann Witte. Regeln zu Wochenendarbeit, Urlaub, Arbeitszeitkonten und Bezahlung müßten gefunden werden. „Wir müssen verhindern, daß die Anbieter nur durch Sozialdumping am Markt bestehen können“, sagt Witte.
Die Anbieter machten sich die kommunikativen Fähigkeiten von Frauen zunutze, findet Helga Ziegert. „Der Kompetenzvorsprung muß sich auch in angemessener Vergütung für Frauen niederschlagen“. Bisher verdienen Einsteigerinnen ohne spezielle Kenntnisse in Bremer Call Centern etwa 2.500 Mark brutto. Zur Zeit arbeiten in Bremen nach Angaben der Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WfG) 1.700 „Call-Center-Agenten“, bis zum Jahr 2000 sind 3.000 Arbeitsplätze angepeilt.
Neben einfachen Diensten wie die Annahme von Bestellungen werden auch hochqualifizierte – und besser bezahlte – Spezialisten am Telefon sitzen. Der amerikanische Computer-Dienstleister EDS bezieht Räume im Telematik-Zentrum am Flughafen, das die Bauherrin WfG eigens nach den Bedürfnissen der Telefonisten geplant hat. Hier sollen in den nächsten Jahren 175 EDV-ExpertInnen Anrufern aus Kundenfirmen aus ganz Deutschland helfen, wenn sie Probleme mit ihrem Rechner haben. Auch der DGB bestätigt, daß die verbreitete Mär vom Billig-Job am Telefon nicht durchgehend der Realität entspricht.
In Niedersachsen und Bremen ist das Innere der Call Center für die Gewerkschaften aber noch unbekanntes Land. Darum hat es auch noch keine Konflikte zwischen Firmenchefs und Belegschaften gegeben, die etwa einen Betriebsrat gründen wollen. Ado Wilhelm von der Deutschen Postgewerkschaft berichtet jedoch von harten Kämpfen in manchen Firmen, wo Gewerkschafter nicht gern gesehen seien. „Wenn wir da heute reingehen, sind morgen zwei Leute entlassen“. Mit dem Düsseldorfer Mobilfunkanbieter E-Plus liege man im Rechtsstreit wegen Entlassungen im Zusammenhang mit der Gründung eines Betriebsrats. Denn wenn sich die Belegschaften stabilisiert hätten, gingen bei den Gewerkschaften vermehrt Anfragen um Unterstützung ein.
In Bremen ist es noch nicht soweit: Hier sind die Unternehmen noch im Aufbau und suchen Personal. So gibt es am Mittwoch, 15. Juli, 14 Uhr, im Telematik-Zentrum an der Flughafenallee 15 eine Job-Börse, auf der sich acht Firmen präsentieren. Joachim Fahrun
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen