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„Die sind doch durch“

■ Sind die „Böhsen Onkelz“ Faschos? / Heftiger Krach um geplanten Auftritt in Hamburg Von Volker Marquardt

Große Worte und hehre Konzepte werden bemüht: „Aufklärung“ und „Toleranz“ stehen auf dem Spielplan. Dabei geht es nur um ein Konzert, exakt: um die Ankündigung eines Konzerts. Oder ist es mehr als einfach nur ein x-beliebiger Auftritt?

Die Böhsen Onkelz sollen im Oktober in der Großen Freiheit auftreten, und das sorgt für Aufregung in der Szene und in der Belegschaft der Konzerthalle auf dem Kiez. In einer Zettelabstimmung sprachen sich 80 Prozent der MitarbeiterInnen gegen den Auftritt aus. Michael Schmelich vom S-Cord Konzertbüro, das auch Auftritte der antifaschistischen Fun-Punkbands Die Ärzte und Die Toten Hosen organisiert, hält die Diskussion um die Onkelz „als von einer Menge Unkenntnis gekennzeichnet“. Er schlug der Belegschaft vor, sich selbst am 1. Juli in Nordheim ein Bild zu machen. Niemand nahm das Angebot an, weil, so Freiheit-Mitarbeiter Friedrich Lemmer, eine „solche Band durch ist“. Es wird angezweifelt, „daß sich die Böhsen Onkelz tatsächlich gewandelt und nicht nur die Hakenkreuz-Tattoos weggelasert haben. Wandlungen, auch drastische, sind gerade bei jungen Menschen möglich“, meint Lemmer. „Daß daraus ein Geschäft gemacht, die Aufmerksamkeit als Marketingmittel genutzt wird, macht die Wandlung der Onkelz unglaubwürdig.“

Im Zentrum früherer Diskussionen stand der Song „Türken raus“, der 1979 ausschließlich auf Kassette erschien, als die Onkelz eine namenlose Punk-Band aus Aschaffenburg waren. Textzeilen wie „Türkenfotze glattrasiert“ will Schmelich, ein ehemaliger grüner Landtagsabgeordneter in Niedersachsen, als „unreflektierte Wut einer Schülerband keinesfalls rechtfertigen“. Doch er plädiert für den genauen Blick: „Die Böhsen Onkelz sind seit ihren Anfängen Hooligans.“ Seit 1986 haben sich die Onkelz, laut Schmelich, mit ihrer Vergangenheit bewußt auseinandergesetzt, was Auftritte bei „Rock gegen Rechts“-Festivals und der Abbruch von Konzerten wegen Hitlergrüßen im Publikum dokumentiere. „Wenn man der Band weiterhin das Stigma des Neo-Nazismus anheftet, stigmatisiert man auch die 8000 Fans der Kölner Konzerte.“

Auch Karsten Schölermann, Mitglied der Grünen und örtlicher Veranstalter, geht es um die Fans: „Die 250.000 Käufer der letzten Platte können nicht alle Rechte sein. Jeder zweite aus meinem Umfeld hat einen Onkelz-Fan als Sohn, was natürlich manche linke Eltern in echte Identitätskrisen stürzt.“ Schölermann findet die Band zwar musikalisch „einfach schlecht“, aber er will sie nicht zu Märtyrern machen. „Auch die Hamburger sollten die Möglichkeit haben, sich eine eigene Meinung über die Onkelz zu bilden.“ Allerdings kommen Schölermann inzwischen Zweifel, ob die Große Freiheit als Auftrittsort nicht doch zuviel der Provokation sei. Freiheit-Chef Karl-Hermann Günther war wegen Urlaub nicht zu erreichen; die Belegschaft will dieser Tage eine erneute Abstimmung durchführen.

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