: Tränen unterm Dach
■ Mehr noch als gewöhnliche Menschen leiden die Cabrio-Fahrer unter dem Wetter. Die taz sprach mit einem Opfer dieses angeblichen Sommers
Seit Wochen besteigen Cabrio-Fahrer nur noch mit Tränen in den Augen ihre Wagen. Wie es um das Seelenleben der Männer ohne Dach bei Regen bestellt ist, verrät Hamburgs ehemaliger Senatssprecher Cord Schellenberg im taz-Interview.
taz: Wie geht's uns denn heute so psychisch?
Cord Schellenberg: Das ist nun schon der zweite Frustmonat. Die Glücksgefühle, mit offenem Dach zu fahren, die sind durch nichts zu ersetzen. Das erste, was ich dachte, als ich seinerzeit in meinen neuen Cabrio stieg, war: Jetzt gucken dich die Frauen ganz anders an. Und meine Bilanz nach sechs Jahren ist: Es stimmt.
Na, das ist doch nur ein Golf.
Ein Golf reicht völlig. Das wichtigste ist ein offenes Dach.
Haben Sie angesichts der unerträglichen Wetterzustände schon seelische Schäden davongetragen?
Um die abzuwenden, habe ich mir voriges Wochenende schon das Auto meines Vaters ausgeliehen, ein Coupé. Damit ging's.
Mit etwas Courage könnte man sich in wetterfester Kleidung in den Cabrio begeben.
Ich selbst bin da spießig: Ich möchte nicht, daß die Ledersitze naß werden. Außerdem ist die gelbe Öljacke für den Cabrio-Fahrer ein No-Go-Item. Etwas mondäner sollte es schon sein.
Wer bringt denn dem jungen Cabrio-Fahrer diese strengen sozio-kulturellen Regeln bei?
Sehen Sie, das ist ja das Problem. Ich hielte es für angemessen, wenn die Autohersteller mit dem Kauf eines Cabrios einen Lehrgang anbieten würden.
Wie also verhält sich der ordentlich sozialisierte Cabrio-Fahrer, wenn es anfängt zu regnen?
Die coole Nummer ist gefährlich. Wenn man optimistisch das Dach offen läßt, muß man manchmal extreme Sprinter-Qualitäten zeigen, um schneller als der Regen zu sein. Also halte ich sofort...
...mitten auf der Straße?
Natürlich, es handelt sich um einen Notfall. Ich bin aus diesem Grunde auch gegen das Zurückbauen der Busbuchten. Wenn der Bus einfach auf der Straße hält, können dramatische Sekunden verloren gehen, wenn Regen droht.
Wäre es nicht Zeit zum Handeln, etwa zu fordern, Straßen mit einem Glasdach zu überdeckeln?
Oh, oh, oh, da ist Vorsicht geboten. Ich denke an das eingestürzte Sporthallen-Dach. Als Cabrio-Fahrer wären wir gefährdet.
Sehen Sie einen Ausweg aus Ihrer Depression?
Ach, ich weiß auch nicht. So ein geschlossenes Cabrio-Dach macht einfach nichts her. Keiner will mehr von mir nach Hause gefahren werden. Die ganze Soziokommunikation findet nicht mehr statt – ich fahre ganz allein.
Interview: Silke Mertins
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