: Komm, wir spielen Zirkus
Diesmal ist kein Schlingensief drin: Johann Le Guillerm und sein „Cirque Ici“ haben ihr Zelt auf dem Praterlände aufgebaut. Rote Clownsnasen und Sägespäne gibt's keine, dafür sind auch Maschinen dabei ■ Von Kolja Mensing
„Nicht kippeln – ist gefährlich!“ sagt man zu Kindern, die auf Stühlen herumhampeln. Doch was ist das hier? Da ruckelt und wackelt einer auf einem kantigen Sitzmöbel herum, klettert sogar, o Gott, auf die Lehne, rappelt und hüpft dann mitsamt dem Stuhl los. Glupschäugig und aufmüpfig guckt er obendrein: „Kippeln kommt gut.“ Der aufmüpfige Knirps ist 28 Jahre alt, heißt Johann Le Guillerm, und sein Lieblingsspiel ist Zirkus: Aus einem Stuhl wird ein Trapez, aus ein paar Flaschen ein Seil zum Draufherumtanzen, und er selbst verwandelt sich in einen höchstgefährlichen Löwen, der sich durch einen Holzring zwängt.
Johann Le Guillerm also ist ein Zirkuskünstler. Er hat sein grüngestreiftes und mit roten Sternen verziertes Zelt auf dem Pratergelände aufgebaut und zeigt dort seit Freitag, daß es Zirkus auch ohne Sägespäne und rote Clownsnasen gibt. Statt dessen führt sein „Cirque Ici“, der aus den Projekten „Archaos“ und „Que-cir-que“ entstanden ist, eine Mischung aus Pantomime, Grausamen Theater und Kindergeburtstag vor. Ohne Netz und doppelten Boden. Auch wenn die Mittel – ein alter Wischlappen, ein Blatt Papier – bescheiden sind: Der Franzose, der in einer überdimensionalen Hose und Westernstiefeln durch die Manege stakst, muß nur eine kleine Bewegung andeuten, einen Moment zögern oder sein Körpergewicht leicht verlagern – und das Publikum hält wie bei einem Drahtseilakt den Atem an. Und staunt: Das ist Zirkus.
Dazu spielt Musik. Aus allen vier Ecken beschallen „Monsieur le Baron“ mit Trommeln und Blasinstrumenten die runde Manege. Die schlau zerhackten Zirkusmelodien feuern den Artisten an und weisem ihm – wenn er gerade einmal blind herumtapst oder in einem Leinensack durch die Gegen kullert – mit einigen kraus und gegen den Strich getröteten Tonleitern den Weg.
Die Tonleiter bricht dann irgendwo ab, und den Weg, den gibt es natürlich auch nicht. Denn dieser Zirkus ist eine mit Löwen- und Tigermacht geführte Revolte gegen den Dressurakt. Der Körper kann noch so sehr verkrümmt, überdehnt und diszipliniert werden, zuletzt bricht doch seine zappelige Anarchie wieder hervor. So wie Johann Le Guillerm zuerst den Hungerkünstler macht, stolz seine grausig abgemagerten Rippen präsentiert – und dann als Kannibale über die Hand einer Zuschauerin herfällt.
Um's theoretisch perfekt zu machen, setzt der „Cirque Ici“ noch einen obendrauf: Was so ein Körper kann, das können auch Maschinen. Zumindest die Kunstapparaturen, die zwischendurch wie Nummerngirls durch die Manege rollen: merkwürdige kybernetische Konstruktionen aus Rädern und Metallstreben, die immer wieder aus der vorgegebenen Bahn ausbrechen oder einfach nur störrisch herumklappern. „Ich bin keine Maschine“, sagen diese Maschinen. „Ich bin kein Zirkus“, sagt der „Cirque Ici“. Und wie schön und aufregend er das sagt.
„Cirque Ici“, auf dem Pratergelände. Die nächsten Vorstellungen: 12./14./15. Juli. 20. 30 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen