■ Schlager-Gedenk-Marsch der „Stimmen in Aspik“: Jugend trainiert für Betriebsausflug: Neues für die braune Tonne
Die scheinbar aufgeklärten Twenty- bis Thirtysomethings unserer Tage, zufrieden in der Mitte der Alterspyramide und der Gesellschaft angekommen, können endlich den Widerstand aufgeben gegen das, was sie eigentlich schon immer insgeheim mochten. Affirmationssucht und Mitmachenwollen breiten ihre wahrhaft esoterischen Tentakel aus, endlich kann man sich mit dem identifizieren, wogegen man, einem obsoleten Zeitgeist folgend, früher opponieren mußte. Dabeisein ist alles. Zum Beispiel beim „Schlager-Gedenk-Marsch“, den Fabian Böckhoff mit seinen Stimmen in Aspik gestern in Berlin veranstaltete.
„Mein Freund der Baum ist tot“ – so heißt das Motto derer, die die Mülltrennung jetzt gleich beim Schlagersingen, Marschieren und Schunkeln vornehmen wollen. Doch nicht allein die Umwelt ist es, nein, das „Bedürfnis nach Liebe und Verständnis in der heutigen Gesellschaft“ muß ventiliert werden. Der Fabulöse Fabian und sein Adlatus Funkmaster Confetti, zwei Gestalten, wie von Jutta Ditfurth selbstgeknetet, würgen es immer wieder ungefragt (in ihrer Presseinformation) hervor: „Auf der einen Seite wollen wir das Volk zu noch mehr Liebe zu sich selbst und zu anderen ermutigen. Auf der anderen Seite wollen wir die Menschen auffordern, über sich und ihren Platz in der Umwelt nachzudenken.“ Hinreichend Nachdenklichkeitspotential diesbezüglich habe nur der Schlager, das zeige ja schon „Nicoles ,Ein bißchen Frieden‘“. Kein Wunder, daß in dieser Lesart Dieter Thomas Heck früher „politisch korrekte Sendungen“ moderiert haben soll.
Schon vor zwei Jahren hätten die Stimmen in Aspik „erkannt, was das deutsche Volk will: Schlager“. Außerdem marschiert der Deutsche gern, denn „die Baby's von damals sind erwachsen geworden“. Doch der kleine Schlagergoebbels meint noch mehr wollen zu müssen: „Hat der Deutsche nicht genug Bezug zu seiner Sprache aus historischen Gründen oder ist es einfach cooler sich mit angloamerikanischer Musik beschallen zu lassen?“ Für Böckhoff ist es einfach cooler, Kommata mit dem Würfelbecher zu verteilen und eigenwillige Auslegungen der Rechtschreibung unters Volk zu bringen. Auf Kommando der Fabulösen Fabiane und Guildo Horns dürfen überheizte Großstadtjugendliche, in deren Gemütern es aussieht wie das ganze Jahr Weihnachten, hip finden, was gerade hip ist. Heute Schlager, morgen vielleicht schon Musical oder Literarisches Kabarett. Die untersten Schubladen des Mittelmaßes geben sich plötzlich avantgarde.
Kult und Trash sind die einschlägigsten Begriffe, wenn es um den Schlager heute geht, dabei ist Schlager nix als Volkstümelei für Selbstabholer. Wenn schon Mülltrennung – dann ab damit in die braune Tonne. Schlager hören und auch noch mögen, das heißt: Augen zu und durch; hinein in die Welt der Nichtskönner, der Beliebigkeiten und assortierten Scheußlichkeiten. Jugend trainiert für Betriebsausflug, für den meutenmutigen Drang nach dumpfer Geselligkeit, Identität und Eierlikör. Wenn wir schon wissen, daß wir alle Müll sind, dann laßt es uns wenigstens gemeinsam austragen und den anderen gründlich auf die Nerven gehen. Gemeinsam sind wir stark. – Unbeirrt belachen sie die eigene Überflüssigkeit, ohne es zu merken. Das freilich ist die einzige komische Komponente.
Fassungslos stehen internationale Beobachter vor dem generationenübergreifenden, bewußten Bekenntnis zum deutschen Mief. Kein anderes Land würde solche Entgleisungen als Pop geschehen lassen. Plötzlich macht sich eine sonst zurechnungsfähig erscheinen wollende Teilpopulation Gedanken darüber, welches Ansehen ihr Deutschland in Europa, in der Welt und bei der Umwelt genießt, während sich der Rest betroffen fragt, warum „Sieg Heil!“-Rufe und Hakenkreuzschmierereien auf einmal rechtsradikal sein sollen. So, wie DVU-Wahlergebnisse den Standort Deutschland in ein, na sagen wir, unangenehmes Licht tauchen, so machen die Fabian Böckhoffs alles wieder wett. Ein Volk, das noch nie wußte, was Humor ist, identifiziert sich im geistigen Tiefflug mit seinen Piloten, sichert die Lufthoheit über unseren Straßen und befiehlt Nachbarn und Umwelt: Deutschland hat euch lieb. Begreift das!
Piep, piep, piep tickt die Zeitbombe der neuen deutschen, unweltbewußten Gnadenlosigkeit. „Eine Liebe, die sich der deutschen Gemütlichkeit besinnt und die rausgeschrien werden will.“ Die anderen werden schon sehen, was sie davon haben, wenn sie uns nicht mögen. – Herr Frey, übernehmen Sie! Michael Rudolf
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