: „Agenten der Militärregierung“
■ Schwere Vorwürfe hat der nigerianische Oppositionsführer Moshood Abiola noch kurz vor seinem Tod gegen UN-Generalsekretär Kofi Annan erhoben. Niemals habe er auf seine Ansprüche als Sieger der Wahlen von 1993 verzichtet, schreibt Abiola in seinem letzten Brief an seine Familie
Am 6. Juli, einen Tag vor seinem plötzlichen Tod, schrieb Nigerias inhaftierter Wahlsieger und Oppositionsführer Moshood Abiola seiner Familie einen Brief, in dem er sie zu einer neuen Kampagne für seine Freilassung aufforderte. Darin wies er zugleich strikt die unter anderem von UN-Generalsekretär Kofi Annan aufgestellte Bedingung für seine Freilassung zurück, wonach er auf sein Mandat als gewählter Präsident Nigerias verzichten solle. Der Brief wurde aus der Haft herausgeschmuggelt und jetzt von seinen Verwandten öffentlich gemacht. Die taz dokumentiert den Brief, leicht gekürzt, in Zusammenarbeit mit der nigerianischen Tageszeitung Punch .
Am 2. Juli hatten Kofi Annan sowie Commonwealth- Generalsekretär Chief Anyaoku Abiola in seiner Haft aufgesucht und mit ihm über seine Freilassung gesprochen. Annan hatte danach in einer Pressekonferenz behauptet, Abiola sei zu einem Mandatsverzicht bereit. Dies, so geht aus Abiolas eigenen Aussagen hervor, war offenbar die Unwahrheit. Abiola bestand bei dem Treffen vielmehr darauf, daß er am 12. Juni 1993 demokratisch zum Präsidenten gewählt wurde. Außerdem erinnerte er daran, daß er sich zum ersten Jahrestag der Wahl 1994 „unwiderruflich“ bei einer öffentlichen Versammlung zum rechtmäßigen Präsidenten erklärt hatte – was zu seiner Verhaftung führte.
„Ich hatte Kofi Annan vorher nie getroffen. Ich wußte gar nicht, daß Butros Ghali nicht mehr UN-Generalsekretär war. Er war sich sicher, daß ich ihn kannte, und für die erste halbe Stunde wußte ich nicht, mit wem ich es zu tun hatte. Ich mußte ihm erklären, daß ich vier Jahre lang keinen Zugang zu Medien hatte und daher nicht auf dem neuesten Stand war.
Er kapierte das, stellte sich vor und beschrieb die vielen Schritte, die er in seiner achtzehnmonatigen Amtszeit für meine Freilassung unternommen hatte. Als nächstes sagte er mir, daß der neue Staatschef zugestimmt habe, mich bedingungslos freizulassen, aber daß er eine Zusicherung wolle, daß ich nicht um mein Mandat bitten wolle.
Ich sagte ihm, daß dies die schlimmste aller Bedingungen sei und daß der Staatschef weiß, daß jede solche Bitte nur Konfusion erzeugen würde, da sie wirkungslos wäre.
Annan sagte mir, daß niemand in der internationalen Gemeinschaft mich auf Grundlage eines fünf Jahre alten Mandats anerkennen wird. Er betonte, daß ohne die Annullierung der Wahl meine fünfjährige Amtszeit aufgrund der Wahl vom 12. Juni 1993 schon abgelaufen wäre. Er schloß mit der Bemerkung, daß eine solche Zusicherung meine Freilassung erleichtern würde.
Ich warf ein, daß meine Haft schon vor Jahren geendet hätte, wenn ich eine solche Zusicherung gemacht hätte. Ich beglückwünschte Annan zu seinen Bemühungen und dankte ihm. Ich sagte ihm deutlich, daß ich die von ihm gewünschte Zusicherung nicht geben kann, da sie schlimmer als nutzlos wäre.
Meine Amtsantrittserklärung (als gewählter Präsident 1994 – d. Red.) wurde in der Öffentlichkeit bei einer Massenversammlung in Epetedo, Lagos, vollzogen, vor Tausenden von Menschen trotz des schweren Regengusses an diesem Abend. Sie erfolgte in klaren Worten ohne Zweideutigkeit.
Ich stellte mich dann der Festnahme und kam vor Gericht; der Prozeß ging weiter, bis meine eidesstattliche Erklärung vom 4. Oktober 1994 die Militärregierung in eine aussichtslose Situation brachte. Nichts, was mit dem 12. Juni zu tun hat, wurde heimlich unternommen, denn der 12. Juni ist das öffentliche Thema Nummer eins in unserer Geschichte. Sogar die Stimmenauszählung war öffentlich in jedem der über 209.000 Wahlzentren des Landes.
Eine private Erklärung abzugeben, um meine Freilassung zu sichern, würde alle Beteiligten schlecht aussehen lassen. Eine solche unter Nötigung erhaltene Erklärung wäre nicht nur wertlos, sondern für alle Beteiligten unwürdig. Da es um das Mandat des gesamten nigerianischen Volkes geht, wäre eine Privatlösung so, als wolle man unserem Volk in seiner Abwesenheit den Kopf scheren – eine Illusion.
Zur Frage der Nichtanerkennung des Mandats wegen der verflossenen Zeit sagte ich Annan, daß ich das nicht glaube. Wenn Annan recht gehabt hätte, würde es heißen, daß die Militärregierung von ihrem illegalen Vorgehen – der illegalen Annullierung der Wahl per Dekret und meiner illegalen über vierjährigen Inhaftierung – profitieren würde.
Meine eigene Konzession in der Sache besteht darin, daß ich Annan sagte, ich würde keine erneute Amtsantrittserklärung abgeben. Zum ersten wäre sie nicht mehr nötig, denn meine ursprüngliche Erklärung vom 11. Juni 1994 hat für den Zweck, den 12. Juni am Leben zu halten, völlig ausgereicht. Ich sagte Annan, daß der Stand des 12. Juni so ist, daß ich mir nach meiner Freilassung Zeit nehmen muß, um meine Gesundheit zu überprüfen; den Zusammenhalt meiner Familie wiederaufzubauen, die unter den Ereignissen der letzten fünf Jahre und der brutalen Ermordung meiner ersten Frau Kudi stark gelitten hat; und natürlich meine Geschäfte wieder zum Leben zu erwecken. Das geht, weil der 12. Juni heute ein wichtiges internationales Thema ist, anders als vor vier Jahren. Ich muß keine öffentliche Erklärung mehr abgeben, um anerkannt zu werden. Ich glaube, daß Kontakte zu anderen Ländern durch ihre Botschafter genügen, um eine Anerkennung von einer Mehrheit der OAU-Staaten zu erreichen, sollte das nötig sein. Mit einer Anerkennung durch die OAU ist die der UNO automatisch, wie im Falle der MPLA in Angola 1975/76.
Es muß aber nicht soweit kommen, wenn wir den anderen Weg gehen und den neuen Staatschef und seine Militärchefs auf unsere Seite bringen. Dann kann er die Entgleisung des 12. Juni klären und uns ermöglichen, an allen Fronten als Nation schnell voranzukommen. Dann sind wir ein bis vier Jahre lang Premierminister statt Präsident.
Das Treffen mit Chief Anyaoku behandelte dieselben Dinge, also sind alle bisherigen Bemerkungen auch dazu relevant. Ich glaube tatsächlich, daß die Militärregierung die beiden Männer benutzt hat, um einen Testballon steigen zu lassen über eine eventuelle Amtsantrittserklärung meinerseits – das, wie sie beide sagten, stellte die Hauptsorge der Militärregierung dar. Beide Diplomaten schienen ihre Haltung abgesprochen zu haben. Chief Anyaoku fügte hinzu, daß er Rechtsbeistand gesucht habe, und man habe ihm bestätigt, daß die fünfjährige Pause mein Mandat getötet habe. Meine Antwort darauf ist, daß Rechtsbeistand vor dem Gericht der öffentlichen Meinung nichts nützt. Welches Land hat je seine politischen Probleme dadurch gelöst, daß es Rechtsbeistand gesucht hat? Und was weiß die Masse unseres Volkes von Rechtsbeistand?
Die beiden arbeiteten als Agenten der Militärregierung, ob sie bezahlt wurden oder nicht. Das ist aber auch nicht unsere Angelegenheit. Seid vorsichtig damit, wie ihr dies und andere Materialien benutzt, so daß die Jungs nicht in Schwierigkeiten kommen. Aber darin seid ihr ja Experten!
Mit all euren Materialien könnt ihr eine Werbekampagne organisieren – keine Konfrontation – für den 12. Juni und den Menschen dahinter und verschiedene Aspekte der Tatsachen hervorheben. Zum Beispiel: Wenn Abacha mich nach mehr als vier Jahren nicht zur Aufgabe zwingen konnte, ist es naiv zu suggerieren, daß ein einen Monat alter Neuankömmling das mit dem Einsatz internationaler Diplomaten machen kann. Eine öffentliche Erklärung, die am hellerlichten Tag vor Tausenden jubelnden Massen abgegeben wurde, kann nicht bei einem Mitternachtstreffen mit einem nichtnigerianischen Diplomaten aufgegeben werden. Die Erklärung des 12. Juni ist unwiderruflich. Wir wissen jetzt nicht, wie viele Menschen im Zusammenhang mit dem 12. Juni gestorben sind, aber die Zahl muß bei über 200 liegen. In den Worten des 126. Psalmes: „Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten.“
Ein anderes Thema: Der 12.Juni und die internationale Diplomatie. Die Diplomaten haben ihre Grenzen überschritten, indem sie einen Mandatsverzicht fordern. Zugleich sagen sie, sie wollten eine bedingungslose Freilassung. Ihre Forderung ist unbegründet. Ihre Bitte nach Mandatsverzicht beweist ihren Mangel an Verständnis dafür, worum es geht, und stellt eine höchst verabscheuungswürdige Bedingung für die Freilassung dar.
Wir wissen, daß Diplomaten traditionell mit gespaltener Zunge und offener Unehrlichkeit reden. Es ist allgemein bekannt, daß Diplomaten sich hierin von Frauen unterscheiden. Wenn ein Diplomat „ja“ sagt, meint er „vielleicht“, aber wenn er „vielleicht“ sagt, meint er „nein“. Ein Diplomat sagt niemals „nein“. Aber wenn eine Frau „nein“ sagt, meint sie „vielleicht“, wenn sie „vielleicht“ sagt, meint sie „ja“. Eine Frau sagt niemals „ja“.
Wo haben diese beiden Herren seit der Wahlannullierung gelebt? Sie sollten der Militärregierung sagen, daß sie ein für allemal den tragischen Fehler korrigieren sollte, eine Schwangerschaft zu beenden, wenn das Baby bereits geboren ist. Keiner von ihnen hilft Nigeria, solange dieser Punkt nicht angesprochen worden ist.“
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