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„Ich will immer noch reicher werden“

■ Erfolg in der krisengeschüttelten russischen Wirtschaft? Für Jewgenij Jurjew (27) kein Problem

Moskau (taz) – Wer glaubt, Geldverdienen sei kein Selbstzweck, der kennt weder Dagobert Duck (weit über 70) noch Jewgeni Jurjew (27). Auf die Frage, was den russischen Jungunternehmer vor sechs Jahren zur Gründung seiner Firma Aton bewegte, antwortet Jurjew stets: „Ich wollte einfach reich werden.“

Das hat er bereits geschafft. Mit einem Jahresumsatz von 1,2 Milliarden Dollar ist Aton heute die fünftgrößte Investmentgesellschaft der Russischen Föderation – und die selbständigste: Ihre größeren Konkurrentinnen wurden entweder, wie die CS First Boston, vom Ausland aus gegründet, oder sie bekamen ihr Kapital von großen russischen Industriemonopolen. Jurjews Firma bedient hauptsächlich ausländische Gesellschaften. Der amerikanische Investmentfonds Templeton, spezialisiert auf die Wertpapiermärkte der Schwellenländer, gründete kürzlich mit Aton ein Joint-venture.

Direktoren um die dreißig sind in russischen Banken keine Seltenheit, ist doch das Finanzgewerbe selbst noch neu im Lande. Als 21jähriger Firmengründer war Jurjew aber selbst für russische Verhältnisse reichlich jung. Verlegen gesteht er, daß ihm dies bisweilen zum Problem wurde: „Für das Repräsentieren braucht man ein repräsentatives Alter – und das hatte ich noch nicht.“

Trotzdem schaffte sich Jurjew weder eine Brille an, noch ließ er sich einen Bart wachsen. Er empfindet seine Jugend auch als Vorteil. Auf dem krisengeschüttelten russischen Finanzmarkt benötigt man unverbrauchte Nerven. „Hier kann man alles verlieren, aber auch Hunderte von Prozenten gewinnen“, sagt er. „Vielleicht wird Rußland der wichtigste Wertpapiermarkt des 21. Jahrhunderts, aber dafür müssen wir noch hart arbeiten“.

Um Licht in das Dunkel russischer Aktiengesellschaften zu bringen, beschäftigt Aton unter den über 200 Mitarbeitern in seiner Moskauer Zentrale viele Research-Spezialisten. Sie suchen die nötigen Informationen direkt an der Quelle, in den Unternehmen selbst. Kleinere Filialen unterhält die Firma unter anderem in St. Petersburg, Jekaterinburg, Krasnodar und Samara.

Jurjew selbst setzt auf die sogenannten „Blue Chips“, auf die liquidesten russischen Aktien, zu denen die Anteile der großen Ölgesellschaften zählen. Aber nicht nur die Förderung natürlicher Ressourcen hält er in Rußland für vielversprechend, sondern auch die Industrie: „Es gibt bei uns viele solide Fabriken. Zum Beispiel in den forschungsintensiven Zweigen: Chemie, Apparatebau, Luftfahrt. Geradezu explosiv expandiert die pharmazeutische Industrie. Und wenn Sie glauben, in den Moskauer Geschäften gäbe es keine russischen Lebensmittel, dann liegt es nur daran, daß sich unsere Produkte bislang lieber hinter bunten ausländischen Etiketten verstecken. Sogar Danone produziert die hier verkauften Joghurts schon in Togliatti an der Wolga.“

Von der russischen Gesetzgebung wünscht sich der Finanzmakler, sie möge seinesgleichen ein wenig mehr Probleme bereiten: „Theoretisch können heute bei uns eine Handvoll Makler den Markt manipulieren, wie sie wollen, indem sie untereinander Preisabsprachen treffen.“

Außerdem bedauert es Jurjew auch, daß ausländische Spezialisten in seiner Branche meist ungern nach Moskau kommen. Er bevorzugt Mitarbeiter, die in zwei Kulturen zu Hause sind, und hat dabei keine Hemmungen, auch Leute einzustellen, die wesentlich älter und sehr viel qualifizierter sind als er selbst. „In die Entscheidungen solcher Leute innerhalb ihrer Bereiche mische ich mich auch nicht ein.“ Dieses Prinzip mag revolutionär wirken in Rußland, wo die Führungskader sich traditionellerweise um jedes Detail kümmerten und sich vor Untergebenen scheuten, die klüger als sie selbst wirkten. „Aber“, gibt Jurjew zu bedenken, „die sowjetischen Bosse hatten ja auch andere Ziele. Die wollten, daß alles so blieb, wie es war. Ich aber will, daß sich meine Firma vervollkommnet. Und außerdem will ich immmer noch reicher werden.“ Barbara Kerneck

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