: Staatsanwalt gegen Internet-Antisemiten
■ Wochenlang stand auf den Internetseiten eines vielgelobten Bremer Stadtprojektes eine antisemitische Nachricht. Der Betreiber weigerte sich zunächst zu zensieren und sieht sich nun Ermittlungen der
Bremen (taz) – Die deutsche Debatte um Zensur im Internet, vom Ausland kopfschüttelnd beäugt, bekommt neue Nahrung. Auf den Seiten des Internet-Stadtprojektes „Internationale Stadt Bremen“ (ISB) fand sich ein antisemitischer Eintrag, der nun für Aufregung in der virtuellen Community sorgt und die Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen hat. „Man kann den Juden nicht positiv bekämpfen. Er ist ein Negativum, und dieses Negativum muß ausradiert werden...“ – wochenlang stand diese antisemitische Hetztirade als Eintrag eines Besuchers mit US-amerikanischer E-mail- Adresse im Gästebuch der Internetseite der „Internationalen Stadt Bremen“.
Die Administratoren von ISB wiesen mit zwei knappen Sätzen darauf hin, daß es sich bei dem Eintrag um „rechtsextreme Propaganda“ handle. Das Gästebuch zu zensieren, wäre ihnen nicht eingefallen. Jeder soll „sich dort unzensiert mit seiner Meinung verewigen“. So steht es auf der Startseite, so die Überzeugung des hochgelobten Stadtprojektes: Die ISB setzte auf die Kraft der besseren Argumente und verwies auf eine Holocaust-Forschungsseite.
Wochenlang blieb der antisemitische Eintrag weitgehend unbemerkt. Zwischen Grüßen an die Bremer Heimat fiel die Tirade, die den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen dürfte, kaum auf. Erst als sich eine SPD-Bürgerschaftsabgeordnete mit einer kleinen Anfrage an den Bremer Senat wendete, brach Aktivität aus: Der Eintrag wurde gelöscht. Die Staatsanwaltschaft leitete letzte Woche nach einem Bericht der Bremer taz Ermittlungen ein – gegen die Internationale Stadt Bremen und gegen den E-mail-Schreiber.
Des Briefeschreibers wird man in den USA allerdings kaum habhaft werden können. Und ISB-Geschäftsführer Röber war zwar im ersten Moment noch fest entschlossen, seinen Provider schnell ins Ausland zu verlegen, um auch weiterhin freie Meinungsäußerungen auf seinen Seiten zu ermöglichen. Inzwischen hat er jedoch nachgegeben: In Zukunft würde er der Staatsanwaltschaft auffällige virtuelle Briefe zur Prüfung zuleiten. „Die sollen dann sagen, wie nach dem Gesetz damit umzugehen ist“, so Röber.
Daß Röber sich damit zum Erfüllungsgehilfen der Staatsanwaltschaft macht und seinen eigenen Grundsätzen von der freien Meinungsäußerung im Internet untreu wird, findet er nicht. Er erwägt jetzt er eine Selbstanzeige. Im Teledienstegesetz (TDG), das erst im letzten Jahr verabschiedet wurde, heißt es unmißverständlich, daß Internet-Dienstanbieter für fremde Inhalte, die sie zur Nutzung bereithalten, dann verantwortlich sind, „wenn sie von diesen Kenntnis haben und es ihnen technisch möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern“. Im Falle von ISB paßt das wie die Faust aufs Auge: Der Eintrag wurde kommentiert, war also bekannt und hätte ohne Probleme gestrichen werden können. Die Besonderheit: ISB ist nicht nur als Provider der Weiterleiter von Informationen, sondern mit seinem Gästebuch auch redaktionell aktiv.
Sollte der Fall vor Gericht gehen, er müßte ähnlich viel Aufmerksamkeit erregen wie die Prozesse gegen die PDSlerin Angela Marquardt oder gegen Felix Somm, Deutschland-Chef des Providers CompuServe. Marquardt soll im Herbst 1996 einen Verweis („Link“) auf die Seite der verbotenen Zeitschrift radikal gelegt haben. Felix Somm wurde Ende Mai 1998 von einem Münchner Amtsrichter zu einer Geldstrafe von 100.000 Mark und einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt, weil er Kinderpornos mit seinen Computern weitergeschleust haben soll.
Neu am Fall von ISB wäre, daß diesmal bekennende Verfechter der freien Meinungsäußerung vor Gericht stünden, die aus Überzeugung oder Naivität – und nicht aus technischem Unvermögen – einen Inhalt auf ihren eigenen Seiten nicht gelöscht haben. Der vielbeschworene Standort Deutschland bekommt durch die Zensurdebatte herbe Blessuren: Erst letzte Woche hatte der deutsche Ableger des Providers PsiNet mitgeteilt, daß er alle technischen Einrichtungen zur Speicherung von Inhalten für Internetseiten aus Deutschland zurückziehen werde. Christoph Dowe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen