piwik no script img

Chaos in Hongkongs Luftraum

Wartende Passagiere, faulende Fracht, Verkehrsregelung per Hand: Der neue Flughafen in der chinesischen Sonderzone hat noch jede Menge Macken. Die Regierung sucht nach Schuldigen – und findet sie auch  ■ Aus Hongkong Thomas Dreger

Wenn alles nichts mehr hilft, dann muß Chinas Volksbefreiungsarmee ran. Knapp eine Woche nach der Einweihung von Hongkongs neuem Flughafen Chek Lap Kok schlug der Vizepräsident der chinesischen Gesellschaft für Import und Export, Hui Cheung Ching, am Wochenende vor, Soldaten der Volksrepublik China sollten den Güterverkehr auf dem Flughafen von Hand regeln. Der Grund: Schon einen Tag nach der Einweihung des High- Tech-Flughafens vor einer Woche war das komplette Computersystem zusammengebrochen. Seither herrscht in Hongkongs Luftraum Chaos.

Um zumindest den Passagierverkehr aufrecht erhalten zu können, sperrte Hongkongs Regierung den neuen Flughafen für Frachtflugzeuge. Flughäfen im benachbahrten Macao sowie in Shenzen, auf dem chinesischen Festland, sollten Teile des Güterverkehrs der ehemaligen britischen Kolonie übernehmen. Doch bis gestern blieb das weitgehend ein frommer Wunsch.

Über Chek Lap Kok hängt nun ein muffeliger Geruch: verwesende Lebensmittel, die wohl eher auf einer Müllkippe landen werden als bei denen, die sie geordert hatten. Insgesamt sollen Güter im Wert von mindestens 20 Milliarden Hongkong-Dollar (etwa 4 Milliarden Mark) von dem Desaster betroffen sein. Ein weiterer schwerer Schlag für die seit der Rückgabe der Kolonie an China vor einem Jahr ohnehin leidende Wirtschaft Hongkongs.

Doch auch Passagiere sind von dem Chaos betroffen. „In dem Flughafengebäude geht es drunter und drüber“, berichtet ein frisch angekommener Tourist. Die Flughafenangestellten seien völlig überfordert: „Niemand scheint zu wissen, wo welcher Flug abgefertigt wird.“

Verspätungen von bis zu mehreren Stunden sind deshalb normal. Die Passagiere eines Flugs nach Taipeh halten mit über 24 Stunden Wartezeit bisher den Rekord. Als sie nach der verzögerten Abfertigung endlich das Flugzeug besteigen durften, bemerkte der Pilot bedauernd, für einen Start sei es zu spät, auf dem Zielflughafen herrsche nachts Landeverbot.

Inzwischen wurden auch Sicherheitsmängel auf dem neuen Flughafen bekannt. So gelangten mehrere Gepäckstücke an Bord eines KLM-Flugzeuges nach Amsterdam, nicht aber deren Besitzer. Die South China Morning Post schrieb daraufhin von der Gefahr eines zweiten Lockerbie.

Die Flughafenbetreiber machen ausschließlich die ausgefallene Elektronik für das Desaster verantwortlich. Doch zwei Schaulustige, die einen Spaziergang bis auf die Startbahn schafften, berichteten, keiner der Flughafenbediensteten habe sich für sie interessiert. Und ein Sprecher von Mannesmann Dematic Deutschland, die die Software entwickelt hatte, sagte, die Technik funktioniere hervorragend und sei von der Flughafengesellschaft abgenommen worden. Die Ausstattung hatte allein für das Terminal 1 rund 1,26 Milliarden Hongkong-Dollar (ca. 250 Millionen Mark) gekostet.

Hongkongs von China eingesetzter Regent, Tung Chee-hwa ordnete inzwischen eine angeblich unabhängige Untersuchung an – und fand einen ersten Schuldigen. Am Wochenende erklärte der Vorsitzende der Flughafenbehörde, Wong Po Yan, er werde seinen im November auslaufenden Vertrag nicht aus eigenem Antrieb verlängern. „Als höchster Vertreter der Flughafenbehörde fühle ich mich verantwortlich und entschuldige mich“, sagte er zerknirscht im Fernsehen.

Zugleich betonte er, daß die Entscheidung, die Einweihung des Flughafens nicht zu verschieben, keinen politischen Hintergrund habe. Genau das werfen aber Reiseunternehmen der politischen Führung Hongkongs vor. „Sie wollten demonstrieren, daß sie bereits ein Jahr nach der Übernahme einen der modernsten Flughäfen der Welt haben“, meint ein Reiseunternehmer. „Statt dessen haben sie sich vor aller Welt blamiert.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen