: "Man muß das Kind beim Namen nennen"
■ Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde will auch in seinem zweiten Amtsjahr politisch Farbe bekennen und die russichen Juden integrieren
taz : In der Diskussion über Innensenator Schönbohms Äußerungen über Ghettoisierung und gegen Multikulti haben Sie hart zurückgeschossen. Sie haben ihm „Deutschtümelei, braunen Muff und Blut-und-Boden-Ideologie“ vorgeworfen. Wie sehen Sie diese Äußerungen im nachhinein?
Andreas Nachama: Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Wenn ich mit feingeistigen Ausführungen solchen politischen Statements gegenübergetreten wäre, dann hätte die Öffentlichkeit dies kaum wahrgenommen. In bestimmten politischen Situationen muß man politisch Farbe bekennen und muß in der entsprechenden Sprache antworten.
Schönbohm spricht sich explizit gegen eine multikulturelle Gesellschaft aus. Was bedeutet diese für Sie?
Multikulturalität ist keine Last oder Bürde, sondern eine Auszeichnung. Vergangene Regierungen in Berlin haben viel Geld investiert, damit Multikultur zustande kommt. Wir stehen als Jüdische Gemeinde für Integration, nicht für Assimilation. Wir wollen eine Pluralität der kulturellen Identitäten. Das ist hier längst gang und gäbe und nicht nur am Maybachufer in Kreuzberg.
Sie haben in Ihrem ersten Amtsjahr viele Diskussionen öffentlich mitbestimmt und auch häufig drastische Äußerungen verwendet. Die Kündigung des ehemaligen Leiters des jüdischen Museums, Amnon Barzel, verglichen Sie mit der Zeit von 1933 bis 1938, in der jüdische Museumsdirektoren ihres Amtes beraubt wurden. Sehen Sie sich als ewigen Moralapostel?
Nein. Ich glaube, daß Konflikte von Interessenvertretern, und das bin ich ja, auf den Punkt gebracht werden müssen. Ich glaube nicht, daß das Austauschen von freundlichen Noten, in denen die Probleme verklausuliert enthalten sind, die Konflikte tatsächlich löst.
Werden sie denn durch Ihre Art gelöst?
Ich hoffe schon. Wenn ich sage, was ich fühle, dann tut das vielleicht weh. Aber es ist besser, als hinter vorgehaltener Hand zu reden. Man muß das Kind beim Namen nennen. Ich stehe zu all meinen Äußerungen. Manchmal klingt das zwar ein bißchen schwülstig, schafft aber Klarheit und bringt einen Diskussionsprozeß zustande.
Sie beziehen sich häufig auf das Dritte Reich. Ist das nach wie vor die einzige Kategorie?
Erstens bin ich Historiker. Außerdem ist das Dritte Reich erst fünf Jahrzehnte her. Deshalb ist es legitim, wenn sich die Befindlichkeiten der Jüdischen Gemeinde an dieser Kategorie messen. Und wenn jemand wie Herr Schönbohm sagt, daß diejenigen, die nicht genug Deutsch können, doch bitte wieder gehen sollen, dann betrifft das einfach auch einen Großteil meiner Gemeinde.
Sie wollen also in ihrer Position als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde auch Politik betreiben?
So wie es Heinz Galinski gesagt hat: Eine Jüdische Gemeinde in Deutschland kann keine andere als eine politische sein. Es geht dabei natürlich nicht um Parteipolitik.
Sie haben das Amt vor einem Jahr angetreten, weil in Sie die Hoffnung gesetzt wurde, als Integrator zwischen den deutschen und russischen Juden zu fungieren. Sind Sie das geworden?
Ich glaube, daß die russischsprachigen Juden, die in die Gemeinde kommen, Vertrauen zu mir gefunden haben. Integrationsarbeit kann man natürlich nicht in einem Jahr erledigen, und deshalb sind noch viele Punkte offen. Wir haben mit dem Innensenator eine Härtefallregelung erarbeitet, die es Familienangehörigen, die noch in den GUS-Staaten sind, ermöglicht, hier einen gesicherten Status zu erlangen.
Wir haben einen Integrationsbeauftragten, der regelmäßig Sprechstunden abhält und eine Job- und Ausbildungsbörse eingerichtet hat. Das sind natürlich alles nur zarte Pflänzchen. Doch daran kann man sehen, daß wir die Integrationsmaßnahmen sehr ernst nehmen. So schaue ich mit einem gewissen Maß an Genugtuung auf das Jahr zurück.
Vor einem Jahr haben Sie gesagt: Wir müssen herausfinden, was die russischsprachigen Juden bewegt, was ihnen wichtig ist. Was haben Sie herausgefunden?
Es gibt zum Beispiel eine Gruppe von 80 ehemaligen Rotarmisten, die das Andenken an ihre gefallenen Kameraden beschäftigt. Die wollten, daß am 8. Mai eine Ehrung ihres Lebenseinsatzes stattfindet. Wir haben ihnen im Rahmen einer Art Selbsthilfegruppe ermöglicht, mit ein bißchen Geld ein eigenes Programm zu gestalten. Und am 30. September, dem Jahrestag des Massakers von Babi Jar werden wir eine Gedenkfeier ähnlich wie am Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto veranstalten. Das war schon in der Sowjetunion Tradition.
Wie stark ist die Anbindung der russischsprachigen Juden mittlerweile an die Gemeinde?
Man muß zwischen zwei Gruppen unterscheiden. Es gibt die eine Gruppe, die wenig Kontakt zur Gemeinde hat. Das sind diejenigen, die keine Kinder haben, die bereits berufstätig sind. Dazu gehören auch die, die Kinder haben, die Kontakt zu den jüdischen Schulen und unseren Einrichtungen haben. Deren Zeit ist aber auch begrenzt. Die meisten Kontakte bestehen zu denen, die noch keinen Anschluß an unsere Gesellschaft haben, und zu den Senioren. Diejenigen, die in den 70er und 80er Jahren gekommen sind, haben sich integriert. Bei denen, die nach der Wende gekommen sind, ist es oft noch schwierig. Ungefähr 500 bis 1.000 von den rund 9.000 russischen Juden haben keinerlei Anbindung an die Gemeinde.
Was heißt für Sie Integration?
Wenn jemand beruflich Tritt gefaßt hat. Integration bedeutet aber auch, daß die Leute Spaß und Anteil finden an dem Leben dieser Stadt.
Wie funktioniert die Integration innerhalb der Gemeinde? Viele der deutschen Juden haben keinerlei Berührungspunkte mit den Zugewanderten.
Dem würde ich widersprechen. Ich glaube nicht, daß wir eine Jüdische Oberschule unterhalten könnten ohne die große Zahl an Zuwanderern. Das gleiche gilt für unsere Veranstaltungen. So sind deutsche und zugewanderte Senioren dort sehr oft zusammen. Klar, die einen spielen mehr Schach und die anderen mehr Karten, aber es gibt keine tiefe Kluft. Das ist eben eine Übergangszeit.
Es gibt innerhalb der Gemeinde ja auch noch andere Querelen. Ihnen wird von einigen Repräsentanten vorgeworfen, als „Marionette“ des Vorstandes zu fungieren. Der Historiker Julius Schoeps kritisiert, daß Sie sich nur schwer gegen die übrigen Vorstandsmitglieder durchsetzen können.
Es gibt eine Gruppe von sechs Repräsentanten, die dem Vorstand sehr kritisch gegenübersteht. Insbesondere auch, weil sie selbst im Vorstand keine Berücksichtigung gefunden haben. Meine Aufgabe ist es, jeweils für die politische Mehrheit zu sorgen. Man muß vielfach Überzeugungsarbeit leisten. Es gibt kontroverse Diskussionen in der Sache, zum Beispiel soll Judaistik ein verbindliches Fach in der Oberstufe der Jüdischen Schulen werden. Der Vorstand war mehrheitlich dafür, die Mehrheit der Repräsentanten aber dagegen. Ähnlich war es bei der Abstimmung über die Einrichtung einer neuen Synagoge mit einem Gottesdienst, an dem Frauen gleichberechtigt mit einbezogen werden. Da gab es auch eine sehr knappe Mehrheit dafür. Aber warum muß mit der Knute des Vorstands eine einheitliche Meinung hergestellt werden? Ich vermag diese Spaltung gar nicht mehr zu sehen. Es ist gut, daß die Diskussionen in aller Öffentlichkeit passieren. Für diese Art von Transparenz bin ich damals angetreten. Ich betrachte mich im Gegensatz zu meinen Vorgängern Heinz Galinski und Jerzy Kanal eher als eine Art Koordinator, der durch Zuhören die verschiedenen Strömungen heraushört und dann einen Kompromiß herbeizuführen versucht. Gewiß, es ist ein anderer Stil als vor zehn Jahren, aber mit einer Marionette hat das nichts zu tun.
Die Konzeption und Finanzierung des Jüdischen Museums scheint nach wie vor unklar, auch wenn der jetzige Direktor Michael Blumenthal es mittlerweile geschafft hat, das Museum zu einer selbständigen Einrichtung zu machen. Glauben Sie, daß es weitere Konflikte geben wird?
Ich sehe leider noch weitere Streitigkeiten um das Jüdische Museum voraus. Da ist noch nicht alles in Sack und Tüten. Dafür waren die Schwierigkeiten zu groß. Ich kenne zum Beispiel immer noch nicht die genaue Konzeption des Organisationsmodells. Und ausfinanziert ist das Museum bestimmt auch noch nicht. Doch der Verdienst von Blumenthal ist, daß er sehr geschickt verhandeln und taktieren kann.
Stört Sie es, daß noch völlig unklar ist, wann die Entscheidung für den Entwurf des Holocaust- Mahnmals fällt?
Das Mahnmal kommt sowieso fünfzig Jahre zu spät. Deshalb jetzt bitte keine falsche Hast. Ich habe auch mit SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder über das Mahnmal gesprochen, und er stellt die Notwendigkeit des Denkmals überhaupt nicht in Frage. Deshalb könnte ich mir auch vorstellen, daß man die Wahlen erst einmal abwartet. Interview: Julia Naumann
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