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■ VorlesungskritikMark und Musen

Das Publikum war so grau wie selten. Der Organisator der Ringvorlesung nannte es höflich eine „Mischung der Generationen“, doch in Wahrheit hatten sich nur zu rund einem Drittel Studenten in den überfüllten Hörsaal gezwängt, die übrigen zwei Drittel des Auditoriums gehörten zur Generation des 71jährigen Referenten.

Der Schriftsteller Günter de Bruyn, der schon lange im brandenburgischen Görsdorf lebt, sprach an der Berliner Humboldt-Universität über „Märkische Musenhöfe“. Als Ausgangspunkt diente ihm eine kurze Notiz Fontanes aus dem Jahr 1864. „Anknüpfend“ an einen Aufenthalt des märkischen Romantikers Friedrich de la Motte Fouqué im havelländischen Nennhausen, kritzelte Fontane bei der Lektüre von Fouqués Autobiographie auf einen Zettel, müsse er in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ darauf „hindeuten“, daß es im Märkischen einst „lauter Dichter-Höfe“ gab.

Doch beim Blättern in den „Wanderungen“ mußte de Bruyn betrübt feststellen, daß sich dort keineswegs eine Hindeutung, sondern bestenfalls die eine oder andere Andeutung findet. Warum bloß, wundert sich der Autor von heute, hat sich Fontane die Gelegenheit entgehen lassen, die schon damals triste Gegenwart der Mark durch den Verweis auf die Musen aufzuhellen?

De Bruyns Antwort leuchtete durchaus ein: Der Fontane der „Wanderungen“ war eben noch nicht der ins Liberale tendierende, aufgeklärte Konservative der späten Romane, der in Ironie gekleidet sachte Gesellschaftskritik übte. In seinen mittleren Jahren bewegte sich Fontane durchweg im konservativen Milieu. Auf die Vorabdrucke seiner Wanderungs-Kapitel in der reaktionären Kreuzzeitung war er finanziell angewiesen, bis er 1870 zur liberalen Vossischen Zeitung wechselte. Schon deshalb verbot sich jeder Hinweis auf die Reformära, mit der die märkischen Dichterhöfe der Zeit um 1800 nun einmal untrennbar verbunden waren.

Ein Auftragswerk der Kreuzzeitung waren die „Wanderungen“ zwar nicht, meinte de Bruyn, doch wären sie es gewesen, „hätten sie nicht viel anders ausgesehen“. Ein „Werk der Verklärung“ seien sie, verkündete er zum Mißvergnügen der versammelten Fontane-Bewunderer, nichts als „rückwärtsgewandte Betrachtungen“. Immerhin, zur Vermarktung der Mark eignen sie sich im 100. Todesjahr des Autors noch immer bestens. Obwohl Fontane meist mit der Kutsche fuhr, versucht manch cleverer Tourismus-Manager, den vermeintlich wandernden Dichter als Vordenker des „Gesundheitstourismus“ zu propagieren.

Vielleicht ist das Stichwort „Gesundheit“ ja nur ein Versuch, die Fontane-Werbung zielgruppenspezifisch auf die entsprechende Altersgruppe auszurichten. „Je älter ich werde“, rühmte de Bruyn Fontanes mehrbändigen Erstling „Vor dem Sturm“, „desto lieber lese ich das“. Ralph Bollmann

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