: Kein Zweifel an der R-Reform
■ Bundesverfassungsgericht winkt neue Rechtschreibung durch - gültig ab 1. August
Karlsruhe (taz) – Die Kläger, ein Anwaltsehepaar aus Lübeck, waren zur Urteilsverkündung erst gar nicht erschienen. Sie hatten in der Vorwoche ihre Verfassungsbeschwerden zurückgenommen, nachdem die für sie negative Tendenz des Urteils schon vorab bekanntgeworden war. Karlsruhe ließ sich aber nicht beirren und verkündete gestern sein Urteil wegen der „allgemeinen Bedeutung“ der Sache trotzdem.
Für die Einführung der neuen Rechtschreibung bedurfte es keiner besonderen gesetzlichen Grundlage. Mit diesem Leitsatz wischte das Bundesverfassungsgericht alle Zweifel vom Tisch. Zweifel, die entstanden waren, nachdem die von ReformgegnerInnen angerufenen Verwaltungsgerichte zuvor äußerst uneinheitlich urteilten. In all diesen Prozessen war es nicht um Vor- oder Nachteile der neuen Rechtsschreibung gegangen, sondern allein um die Frage, ob sie – wie geschehen – per Erlaß der Kultusminister eingeführt werden konnte oder ob ein Gesetz erforderlich gewesen wäre. Auch in Niedersachsen, wo Gerichte die Reform auf Eis gelegt hatten, wird die neue Rechtschreibung nun voraussichtlich nach den Sommerferien Einzug halten.
Die KlägerInnen hatten vor allem mit ihrem Elternrecht argumentiert, in das durch die neue Rechtsschreibung eingegriffen werde. Doch Karlsruhe wies diesen Vorwurf rundweg zurück. Schon seit Einführung der allgemeinen Schulpflicht sei der Rechtsschreibunterricht vor allem Aufgabe der staatlichen Schulen gewesen. Anders als bei der Einführung von schulischem Sexualkundeunterricht seien daher Elternrechte bei einer Änderung der schulischen Rechtschreibung „nicht wesentlich“ berührt. Auch ein Autoritätsverlust der heutigen Elterngeneration ist nach Ansicht des Verfassungsgerichts nicht zu befürchten. Es sei ganz normal, daß Wissen und Können der Eltern nicht immer mit dem Schritt halte, was in der Schule aktuell gelehrt werde.
Daß der Staat auch neue Regeln setzen und nicht nur die tatsächliche Sprachentwicklung nachzeichnen darf, stellte das Urteil ausdrücklich klar. Allerdings seien die Änderungen bei der jetzigen Reform „relativ gering“. Neben der Neuregelung des „ß“ würden nur 0,5 Prozent des Wortschatzes verändert. Die Kommunikation zwischen „Alt- und Neuschreibern“ sehen die Roten Roben daher nicht gefährdet. Im übrigen drohe niemand ein „Ansehensverlust“, der sich weiter der traditionellen Schreibweise bediene.
Voraussichtlich am 27. September, parallel zur Bundestagswahl, werden die BürgerInnen Schleswig-Holsteins über die regionale Einführung der Rechtsschreibreform abstimmen. Nur dort war die erforderliche Unterschriftenzahl zustande gekommen. Der Jenaer Rechtsprofessor Rolf Gröschner forderte gestern noch im Gerichtssaal: „Hat der Kieler Volksentscheid Erfolg, so muß diese Entscheidung des Souveräns in ganz Deutschland anerkannt werden.“ Bei der Kultusministerkonferenz (KMK) rechnet man freilich fest mit einem Sieg der Kieler Landesregierung. „Das Verfassungsgericht hat alle Argumente der Reformgegner stichhaltig widerlegt“, so ein KMK-Sprecher. Auf die frühere KMK-Position: „Alle Länder oder keines“ wollte man sich gestern allerdings nicht mehr festnageln lassen.
Unterdessen erwägt die Kieler Landesregierung juristische Schritte gegen den geplanten Volksentscheid. Wie Kultusstaatssekretär Dieter Swatek am Dienstag erklärte, wird geprüft, ob eine Verfassungsbeschwerde gegen den Volksentscheid möglich ist. Swatek schließt aber die Gefahr einer Insellösung nicht aus, bei der im Fall eines negativen Ausgangs des Volksentscheides allein Schleswig- Holstein bei der alten Rechtschreibung bleiben würde.
Das Verfassungsgericht nahm gestern zum geplanten Volksentscheid nicht ausdrücklich Stellung. Es stellte jedoch allgemein klar, daß ein Ausscheren einzelner Länder die Reform als Ganzes nicht zu Fall bringen könne. „Kommunikation im gemeinsamen Sprachraum“ könne auch dann weiter stattfinden, hieß es hierzu. Christian Rath
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