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Vergiß die Zeit und den Raum!

■ Die gar nicht mal so kleine Hamburger Gitarrenpop-Plattenfirma Marsh-Marigold wird zehn Jahre alt. In der Markthalle wird Sonnabend gefeiert, wir gratulieren

Der Oliver Goetzl wird jetzt auch schon 30. Und seine kleine Plattenfirma Marsh-Marigold zehn. Aber was heißt hier klein? Der Mann leitet von seinem Wohnzimmer in Iserbrook aus eine Art Imperium, das über Zeit und Raum erhaben ist. Vor der Haustür, also etwa in Itzehoe oder Volksdorf, ist Marsh-Marigold ebenso präsent wie in Japan. Aus den kleinsten Orten werden immer wieder neue Bands angeworben, die ins Profil des Pop-Unternehmens passen, und in Übersee setzt Goetzl nicht unbedeutende Stückzahlen seiner Tonträger ab. Es haben ja schon viele Menschen ganze Nächte damit verbracht, die Gründe herauszufinden, weshalb die Japaner wie verrückt Schrammelpop aus Germany importieren.

Labelmogul Goetzl jedenfalls kann sich nicht beschweren: Weil Nippons Shoegazer stets eine bestimmte Menge an CDs abnehmen, muß er sich nicht um einen kommerziellen Vertrieb kümmern. Im Gegensatz zu anderen hiesigen Firmen kann sich Marsh-Marigold über die Finanzen nicht beklagen. Natürlich auch deshalb, weil es hier keinen verwaltungstechnischen Wasserkopf gibt: Buchhaltung, Promotion, Künstlerbetreuung – alle Aufgaben übernimmt der Chef selbst. Und wenn der Sheck aus Japan eintrifft, wird erstmal eine neue Band an den Start gebracht.

Globalisierung nennt man das wohl, aber davon will Goetzl, der immer noch blendend aussieht in seinem Mod-Parka, wahrscheinlich gar nichts wissen. Das Projekt Marsh-Marigold ist vor allem der sympathische Versuch, die Zeit anzuhalten. Was in den letzten zehn Jahren ja auch ganz gut geklappt hat. Fast alle Künstler, die bei der Plattenfirma unter – hüstel – Vertrag stehen, hätten auch ganz gut vor zehn Jahren existieren können.

Als britische Labels wie Wham!, Postcard und natürlich Creation ihre große Zeit hatten (kreativ gesehen), wurden auch Goetzl und seine Brüder und Schwestern vom Gitarrenpop infiziert. Bands, die gerade mal zwei Alben herausgebracht haben und heute in keinem Lexikon auftauchen, werden noch immer als wichtige Verweise angegeben. Sie heißen June Brides oder Pale Fountains, und die Go-Betweens oder Orange Juice werden sowieso kultisch verehrt.

Beinahe Kultobjekte sind inzwischen auch die Platten der beseelten Schrammler Die 5 Freunde, die sich extra für den Auftritt zum Marsh-Marigold-Jubiläum in der Markthalle reformiert haben. Mal sehen, ob sich der heterogene Haufen auf der Bühne immer noch als Sack Flöhe aufführt. Außerdem werden für einen Abend wiederbelebt: die Jesterbells, mit denen vor zehn Jahren alles begann, und Red Letter Day. Insgesamt stehen zur Geburtstagsparade 56 Musiker auf der Bühne – aus Kiel, Wiesbaden und wo sich der Gitarrenpop sonst noch so die letzten Jahre verschanzt hat. Glückwunsch, Goetzl.

Christian Buß

Sa, 18. Juli, 19 Uhr (!), Markthalle. Es spielen: Die 5 Freunde, Busch, Red Letter Day, Spy, The Legendary Bang, Brideshead, Elegant, Jesterbells, Soda Stream, Blochin 81

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