: Ben Wargin will neue Doppelbödigkeit nutzen
■ Weil er den Straßenbahntunnel Unter den Linden räumen muß, werden seine skurrilen Installationen die nächsten Jahre in eine Lagerhalle am Anhalter Güterbahnhof kommen
Bald ist es Schicht im Schacht. Im alten Straßenbahntunnel Unter den Linden, wo jetzt noch Scheinwerfer die skurrilen Installationen Ben Wargins aus Gießkannen, Müll und zerlegten Schaufensterpuppen erleuchten, geht demnächst das Licht aus. Der Schacht soll gedeckelt und Wargins Ausstellung „Die Wüste ist in uns“ in eine Lagerhalle des Technikmuseums am Anhalter Güterbahnhof verlegt werden.
Aber einfach leerräumen und umziehen geht nicht. „Die Ausstellung erhält ihre Form durch das, was der Tunnel ist“, sagt Ben Wargin. Deshalb müsse er für die Halle des Technikmuseums eine „neue Form der Ansprache“ finden. Aber dafür brauche er Zeit. Ein Zwischenlager für die Installationen kann es für den Künstler nicht geben: „Ich kann die Dinge nicht zweimal anfassen.“ Deshalb will er, bevor er den Tunnel räumt, die neue Stelle für jedes Objekt gefunden haben. „Es muß einen weichen Übergang geben.“
Im Senat sieht man das anders. Lieber heute als morgen soll Wargin den Platz räumen, damit am Maxim-Gorki-Theater und am Tunneleingang der geplante „Platz der Märzrevolution“ verwirklicht werden kann. Kerstin Schneider, Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Kultur, erklärte, die Absprache mit dem Bausenat sei bereits getroffen. Auch Günther Gottmann, Direktor des Technikmuseums, ist mit dem Vorschlag einverstanden. Mit Wargin habe man eher Gemeinsamkeiten als Differenzen. Die Halle sei aber keine Dauerunterkunft. Im nächsten Jahrzehnt soll sie als Teil einer vom Technikmuseum geplanten Museumsstraße ausgebaut werden, und bis dahin kann Wargin dort bleiben. Die 300.000 Mark Sanierungskosten für die Halle übernimmt die Bauverwaltung. So bald wie möglich soll begonnen werden.
Abgesehen vom Faktor Zeit, ist Wargin mit dem Umzug einverstanden. Beleidigt zu sein ist nicht seine Art. Der neue Ort sei eine Herausforderung. Am Anhalter Güterbahnhof zeige sich die „Doppelbödigkeit“ der Stadt. „Ich brauche ein bestimmtes Umfeld für meine Fragestellung: Was ist der Mensch oder was ist Kultur?“
Seit drei Jahrzehnten sei die Antwort auf diese Frage ein Prozeß. In diesen Prozeß sei auch die jetzige Veränderung inbegriffen – „oder trägst Du ein Jahr lang dieselbe Unterhose?“ Wenn er an den Umzug denkt, kommt er ins Philosophieren. „Diese Schrauben und Räder im Technikmuseum haben Heimweh. Heimweh, in die Erde zu kommen. Das ist das Heimweh der Dinge, die eine Stadt verbraucht.“ Die neue Form werde er sicher finden. Die Lösung ist einfach: „Der Raum muß verzaubert werden.“ Susanne Sitzler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen