: Aus Protest keine Zeitung
■ Sämtliche unabhängigen Blätter Algeriens streiken zur Unterstützung bedrohter Kollegen
Es ist wie zur Zeiten der Einparteienherrschaft. Die Algerier finden heute an ihren Kiosken nur eine Zeitung vor, das ehemalige Staats- und Parteiblatt El Moudjahid. Die gesamte private, unabhängige Presse hingegen erscheint nicht: Die Blätter streiken.
Die Herausgeber von elf hauptstädtischen Tageszeitungen wollen auf diese Art ihre Solidarität mit sechs ihrer Mitarbeiter ausdrücken, die sich seit 14 Tagen in einem unbefristeten Hungerstreik befinden. Auf diese Weise wollen die Journalisten gegen ihre Ausweisung aus dem Hotel Mazafran auf der Halbinsel Sidi Fredj protestieren. Über 200 Berichterstatter wurden dort im Jahr 1994 von der Regierung in sogenannten Sicherheitszimmern untergebracht, nachdem Drohungen und Attentate gegen Pressemitarbeiter zunahmen.
Seit dem Ausbruch der Konflikte in Algerien im Jahr 1992 verloren bisher insgesamt 54 Journalisten und Fotografen und 16 weitere Mitarbeiter von Zeitungen, Agenturen, Rundfunk oder Fernsehen ihr Leben bei Attentaten. Während die Regierung Terroristen aus dem Umkreis algerischer Islamisten die Schuld an den Morden gibt, vermuten zahlreiche oppositionelle Beobachter, auch die staatlichen Geheimdienste könnten hinter einigen der Morde stecken.
Die Regierung will das Hotel jetzt als Quartier für den Gipfel der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) im Sommer nächsten Jahres umbauen lassen. Als Alternative wurde den betroffenen Journalisten bisher nur ein Hotel in Tipasa angeboten. Doch die Landstraße in den 75 Kilometer von der Hauptstadt entfernt liegenden Ort gilt als extrem unsicher. Die Hungerstreikenden wollen daher so lange mit ihrem Protest weitermachen, bis ihnen zugesichert wird, daß sie auch künftig in unmittelbarer Nähe von Algier untergebracht werden.
„Wir sind besorgt um den Gesundheitszustand der Hungerstreikenden“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung der elf Zeitungsherausgeber anläßlich ihres Streiks. In den letzten Tagen mußten immer wieder einzelne Teilnehmer des Hungerstreiks wegen Kreislaufschwäche ärztlich behandelt werden. In einigen Fällen befürchten die behandelnden Ärzte gar bleibende gesundheitliche Schäden durch das Hungern. Die Zeitungsherausgeber erklären ihre Empörung „über das anhaltende Schweigen der Regierung“. Alle sonstigen Möglichkeiten seien ausgeschöpft.
Das Nichterscheinen der unabhängigen Presse soll Regierungschef Ahmed Ouyahia und Informationsminister Hamraoui Habib- Chawki jetzt doch noch an den Verhandlungstisch zwingen, „um mit aller Enrsthaftigkeit dieses schmerzliche Problem zu lösen“.
Die erst vor wenigen Monaten gegründete unabhängige Journalistengewerkschaft (SNJ) protestierte am Dienstag mit einem einstündigen Sit-in vor dem Regierungssitz in Algier. „Die Regierung stellt sich deshalb so stur, weil wir keine pflegeleichte Journalisten sind“, heißt es in einer Protestnote der Journalistengewerkschaft.
Die Organisation befürchtet, daß es bereits in den nächsten Stunden einen Toten im Hungerstreik geben könnte. „Freiheit, Würde, Sicherheit“, riefen die protestierenden Journalisten bei ihrer Sitzblockade in der Hauptstadt immer wieder aus. Reiner Wandler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen