Tarifchaos trotzt Wachstum

■ Regulierungsbehörde freut sich über starken Telefonie-Wettbewerb in Deutschland und vertröstet die Verbraucher: Der verwirrende Markt werde schon noch transparenter werden

Bonn (taz/AP) – Seit der Auflösung ihrer Zwangsehe nabeln sich die Deutschen stetig von der Telekom ab. Neue Telefonfirmen hätten der alten Monopolistin bei den Ferngesprächen bereits einen Marktanteil von zwölf Prozent abgejagt, berichtete der Präsident der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post, Klaus- Dieter Scheurle, gestern in Bonn. Den Anteil der neuen Unternehmen am Gesamtmarkt schätzen Experten auf drei bis vier Prozent. Scheurle freut sich über die Entwicklung: Der Telefonmarkt in Deutschland sei „eindrucksvoll in Gang gekommen“, die Bewegung des Marktes im ersten Halbjahr zeige Deutschland als „den attraktivsten Telekommunikationsmarkt in Europa“. Zugleich erwartet er, daß der Tarifwirrwarr der vergangenen Monate in nächster Zeit zugunsten der Verbraucher einem „transparenten“ Angebot weichen werde. Denn die Gewinner unter den neuen Unternehmen seien gerade die mit den klarsten und einfachsten Preisstrukturen.

Die Kunden nutzen vor allem das sogenannte Call-by-Call-Verfahren, mit welchem sie grundsätzlich Kunden der Telekom bleiben, bei Ferngesprächen aber je nach Tageszeit per Vorwahl zum günstigsten Anbieter wechseln. Doch auch hier herrscht noch Verwirrung über die manchmal nötige Anmeldung bei Billiganbietern und die Abrechnung, welche mal gesondert, mal über die Telekom erfolgt. Zwar würde der Markt durchsichtiger werden, meint Scheurle – allerdings könne niemand dem Verbraucher ersparen, den für sich günstigsten Anbieter zu suchen: „Ich bin der Meinung, daß der Automarkt genauso übersichtlich oder unübersichtlich ist wie der Telekommunikationsmarkt.“

Seit dem 1. Januar 1998 hat die Deutsche Telekom AG kein Monopol mehr auf Telefonverbindungen. Seither gibt es auf dem heißumkämpften Telefoniemarkt zahlreiche neue Unternehmen, die dem Kunden unterschiedliche und verwirrende, meist aber niedrigere Tarife vor allem für Ferngespräche anbieten. Die neuen Wettbewerber haben nach Auskunft Scheurles inzwischen ein Volumen von 30 Millionen Gesprächsminuten pro Tag. Insgesamt sei durch bis zu 70 Prozent niedrigere Preise auch bei der Telekom das Gesprächsaufkommen insgesamt gestiegen. Davon hätten die privaten Gesellschaften und der frühere Monopolist jeweils zur Hälfte profitiert.

Einige von Verbrauchern und Regulierungsbehörde geforderte Verbesserungen stehen allerdings noch aus. Die gebührenfreie Auflistung aller Telefongespräche wird bislang noch von einigen Unternehmen verweigert. In Kürze werde die Behörde festlegen, wie der Mindeststandard für diesen kostenlosen Einzelverbindungsnachweis auszusehen habe, sagte Scheurle. Auch die Weiterleitung von Gebührenimpulsen bei der Nutzung anderer Telefonanbieter wird nach Angaben von Behörden-Vizepräsident Arne Börnsen erst Anfang 1999 kommen.

Der Telefonmarkt wächst in Deutschland nach Beobachtungen der Behörde derzeit um etwa zehn Prozent. Der gesamte Telekommunikationsmarkt werde in diesem Jahr voraussichtlich ein Volumen von rund 100 Milliarden Mark erreichen, sagte Scheurle. 91.000 neue Arbeitsplätze würden für 1998 erwartet, so daß der geplante Personalabbau bei der Telekom „überkompensiert“ werde.

Ein besonders rasantes Wachstum verzeichnet der Mobilfunkmarkt. In den drei digitalen Handy-Netzen telefonieren laut Regulierungsbehörde derzeit rund 10,1 Millionen Kunden, fast 30 Prozent mehr als zu Jahresbeginn. Mit dem geplanten Start des vierten Mobilfunknetzes zum 1. Oktober zeichne sich ein neuer Wettbewerbsschub ab: Dann werde auch wieder Bewegung in die Tarife kommen. kuz