Letzter Kraftakt für ein Strafgericht

Die fünfwöchigen Verhandlungen über das weitgehende Statut für einen Internationalen Strafgerichtshof drohen an der Haltung der USA zu scheitern. Jetzt wird die Forderung nach einer Folgekonferenz laut  ■ Aus Rom Andreas Zumach

Nur noch ein Wunder könnte bewirken, daß die fünfwöchigen Verhandlungen über das Statut für einen Internationalen Strafgerichtshof (ICC) heute in Rom mit einem Konsens enden. Zwar tagen die 159 Teilnehmerstaaten im Gebäude der internationalen Organisation für Ernährung-und Landwirtschaft (FAO) nur wenige hundert Meter vom Vatikan entfernt. Doch ist nicht damit zu rechnen, daß bis heute um Mitternacht noch weißer Rauch aufsteigt.

Der letzte Kompromißentwurf für ein ICC-Statut, den der kanadische Vorsitzende des Lenkungsausschusses der Konferenz, Philippe Kirsch, am Donnerstag morgen allen Delegationen offiziell unterbreitete, war schon vor seiner Veröffentlichung Makulatur. Denn US-Delegationsleiter David Scheffer hatte bereits am Mittwoch nachmittag in offensichtlicher Vorkenntnis der Vorlage ihre wichtigsten Punkte kompromißlos abgelehnt. Die Clinton-Administration bleibt dabei, daß ein künftiger ICC weitgehend dem UNO- Sicherheitsrat unterstellt werden soll. Eigenständige Ermittlungsbefugnisse für den Ankläger des ICC will Washington nicht zulassen. US-Soldaten in jedwedem internationalem Einsatz sollen vom ICC nicht belangt werden können. Im Windschatten der USA blieben auch rund 30 Staaten bei ihrer restriktiven Haltung – darunter Frankreich, Rußland, China, Indien, Pakistan, Indonesien, Irak, Kuba, Nigeria und Ägypten.

Die USA sind während der Verhandlungen in Rom in keiner der zentralen Fragen auch nur den kleinsten Kompromiß eingegangen. In einigen Punkten verschärften sie ihre ursprüngliche Haltung sogar noch. Damit hat sich die Kompromißbereitschaft der G 60, einer Gruppe 60 gleichgesinnter Länder (darunter Deutschland), die für einen unabhängigen ICC mit weitgehenden Kompetenzen eintreten, nicht ausgezahlt. So waren die G 60 der Sorge Washingtons vor einem „Mißbrauch“ eigenständiger Ermittlungsbefugnisse des ICC-Anklägers mit dem Vorschlag entgegengekommen, daß eine eigens zu diesem Zweck etablierte Kammer des ICC die Aktivitäten des Anklägers jederzeit überprüfen und auch ihre Einstellung veranlassen kann.

Keine Kompromißmöglichkeit sahen die G 60 allerdings in einem Punkt, den US-Botschafter Scheffer am Mittwoch erneut bekräftigt hatte: Die USA wollen die automatische Jurisdiktion des ICC auf Bürger derjenigen Staaten begrenzen, die das ICC-Statut unterschrieben und ratifiziert haben. Bürger von Staaten, die dem ICC- Vertrag nicht beitreten, sollen nur nach ausdrücklichem vorherigen Einverständnis ihrer Regierung vom ICC belangt werden können. „Wenn der ICC ein Verfahren gegen Saddam Hussein eröffnen wollte, müßte dieser erst vorab zustimmen“, kommentierte Richard Decker, Konferenzbeobachter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch diese Forderung. Dieses Dilemma sehen auch Mitglieder der US-Delegation. Doch mit der Forderung nach eingeschränkter Jurisdiktion des ICC will sich die Regierung in Washington absichern für den Fall, daß heute mit Mehrheit und gegen die Stimme der US-Delegation das ICC-Statut beschlossen wird und der US-Senat das Statut auch in absehbarer Zukunft nicht ratifiziert.

Wie die Abstimmung über den Entwurf für ein Statut ausfallen würde, wagte auch am vorletzten Tag der Konferenz niemand vorauszusagen. Denn die Haltung von rund 90 Ländern ist nach wie vor nicht genau bekannt. Sicher ist nur: Eine Abstimmung würde mit Siegern und Verlierern sowie einer großen Zahl von Enthaltungen enden. Dieses Szenario wollten der Konferenzvorsitzende Kirsch und mit ihm eine große Zahl der Delegationen unter allen Umständen vermeiden. Doch der Preis für eine Vereinbarung im Konsens der 159 Teilnehmerstaaten wäre die völlige Verwässerung des Statuts in zentralen Punkten. Das Ergebnis wäre nach Überzeugung der G 60 ein funktionsunfähiger, uneffektiver ICC in der Abhängigkeit des UNO-Sicherheitsrates und ohne die Glaubwürdigkeit, um auch eine abschreckende Wirkung gegen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu entfalten.

Um zumindest den Eindruck eines Scheiterns zu vermeiden, wurde in Rom gestern noch an einer Variante gebastelt, nach der zwar alle Teilnehmerstaaten dem Statut-Entwurf zunächst zustimmen, das Statut aber zugleich einen Annex erhält, der allen Regierungen erlaubt, wieder auszusteigen. Die zahlreichen Nichtregierungsorganisationen (NRO) in Rom halten das für eine „verlogene Variante, bei der die Verhandlungen „auf einen Fototermin reduziert würden“. Die Verschiebung einer Entscheidung und die Anberaumung einer Folgekonferenz wäre nach Meinung der NRO der ehrlichere Weg. Diese Option hatte der Konferenzvorsitzende Kirsch am Mittwoch zwar „aus technischen Gründen“ ausgeschlossen. Doch unter vielen Delegierten gilt diese Option als nicht unwahrscheinlich.