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Wand und BodenTomographisch grisseliges Einerlei in Rosa

■ Kunst in Berlin jetzt: Karl Hartung, Simone Mangos, body of the message

1929 schickt Karl Hartung seinen Eltern eine Postkarte aus Paris. Man sieht den Eiffelturm und ein Nashorn aus Bronze, über dessen Rücken der junge Hamburger Bildhauer zum Spaß den Namen „Kuddel“ gekritzelt hat. Als er 25 Jahre später Frankreich besucht, kommt ihm das Tier wieder in den Sinn: „Das Rhinozeros ist weg, aber der Turm ist immer noch eine tolle Sache“, heißt es in ein paar Zeilen an den Vater. Inzwischen ist Hartung 46 Jahre alt und Professor der Hochschule der Künste Berlin. Im folgenden Jahr wird er auf der ersten documenta seine Skulpturen neben Künstlern zeigen, die in der Nazizeit als „entartet“ galten. Mit einem Unterschied: Hartung mußte niemals das Land verlassen – er gilt bis heute als ein Beispiel für deutsche Kunst der inneren Emigration.

In der kleinen Retrospektive im Georg-Kolbe-Haus kann man anhand von Dokumenten, Skizzen und Plastiken den Werdegang Karl Hartungs zurückverfolgen. Dabei wird auch die ambivalente Haltung deutlich, mit der sich der Künstler auf die NS-Ästhetik einließ. Nachdem Hartung von den figurativen Vorgaben eines Barlach oder Maillol zu organischeren Formen gelangt war, paßte er seinen Stil dem neuen Auftraggeber an – aus finanziellen Gründen. Die Ergebnisse sind teils erschütternd, wie eine stramm heroische Figurengruppe für die Ausstellung „Freude und Arbeit“ von 1939 zeigt, die als verschollen gilt und nur im Katalog dokumentiert ist. Insgeheim experimentierte Hartung jedoch weiter mit abstrakter Kunst, wenn auch bloß im Entwurfsstadium.

Gleich nach dem Krieg ist er dann einer der ersten Künstler, die in der Berliner Galerie Gerd Rosen ihre Arbeiten präsentieren durften. Seine an Henry Moores Aktskulpturen orientierten Bronzen machen ihn bis nach New York bekannt. 1952 stellt Hartung im Museum of Modern Art aus, vier Jahre später ist er an der Biennale in Venedig beteiligt. Daß Hartung bis zum Tod ein Mann der ebenso perfekten wie dynamischen Oberfläche war, merkt man jeder einzelnen Kurve und jeder Kluft an. Noch 1967 wirken die von ihm modellierten Körper ungeheuer elegant, selbst wenn sie vollständig mit Furchen übersät sind.

Bis 23.8., Di.–So. 10–17 Uhr, Sensburger Allee 25; außerdem „Karl Hartung – Tiere und vegetative Formen“, bis 29.8., Mo.–Fr. 11–18.30, Sa. 11–16 Uhr, Galerie Pels-Leusden, Fasanenstraße 25

Im Kunstbereich wird das Berlin der neunziger Jahre gern auf die großen Bauvorhaben hin abgeklopft. Alles ist utopisch wuchernd und urbanistisch irgendwie nicht ganz korrekt. Selten jedoch sieht man die Brüche und Wunden im Stadtbild so offen wie auf den Foto-Installationen von Simone Mangos. Ihre Arbeiten sind nicht von der flaneurhaften Allwissenheit des Spurensuchers bestimmt, sondern sehr viel akribischer dem Gegenstand verhaftet. Zugleich bleiben sie Fragment und bewahren dadurch ein wenig von der Melancholie einer Metropole, deren Hauptstadt-Phantasien auch mit Regierungsumzug wohl nie vollendet werden.

Behutsam paßt Mangos Fundstücke mit Architekturfotografien zusammen: Die Kombination aus einem Stapel Schieferplatten und der dazugehörigen Aufnahme vom Friedhof könnte man fast als barocke Allegorie lesen. Doch der Hintersinn liegt im Detail, der Baum auf dem Grab hat einen Knoten geschlagen und ist dennoch in einer unglaublichen Verschlingung weitergewachsen. Diese Balance aus stiller Tristesse widerständiger Zuversicht findet sich in allen Räumen der Galerie Gebauer. Einem torähnlichen Objekt aus glattem Kiefernholz und dem Stamm eines mit Maschendraht durchbohrten Baumes ist ein fast frei schwebendes Foto gegenübergestellt, das eine ähnliche Situation im Naturzustand zeigt – dort ist das Stück grüne Gaze, das den Baum dahinter schützen soll, aufgeplatzt wie ein zu enges Hemd.

Mitunter gelingt es der seit 1988 in Berlin lebenden Australierin auch, allein im Foto die Widersprüche der Stadt als Landschaft herauszustellen. Dann wundert man sich über eine leere Vitrine, die wie ein Fenster aus einer von zig Einschüssen durchlöcherten Fassade hervorsticht, absurdes Überbleibsel aus Nachkriegsschönung und Nazibau. Besonders auffällig wird die Verklammerung im kommentarlosen Foto-Diptychon zu den ehemaligen Ministergärten: Das Betonskelett der neuen Botschaft fügt sich in seiner kargen Form zu den aufgebaggerten Bunkern der ehemaligen Goebbels-Villa. Plusquamperfekt und Futur II liegen direkt nebeneinander – theoretisch hat man das Holocaust- Mahnmal ja längst gebaut.

Bis 1.8., Di.–Sa. 12–18 Uhr, Torstraße 220

Vorne links wiederholt sich im Techno-Takt eine Video- Schleife, in der Mitte sind zwölf Scanner gestapelt, hinten rechts murmeln U-Bahn-Reisende etwas auf vier Monitoren. Der computersprachlich auch body of the message genannte „Nachrichtenkörper“, von dem die Gruppenausstellung im NBK handelt, lebt allein in Projektionen. Die Kunsträumlichkeit erscheint dagegen extrem weitläufig und leer, was vielleicht das Paradox erklärt, den virtuellen Körper der Infos dreidimensional abbilden zu wollen.

Tatsächlich läßt sich die Installation „scanner ++“ von Joachim Blank & Karl Heinz Jeron viel besser auf der „sero.org“-Homepage im Internet betrachten. Die mit einem Video-Beamer aufgeblähte Wandarbeit sieht jedenfalls, bei Tageslicht betrachtet, ziemlich verwaschen aus; von den Fußspuren, die Besucher auf der Apparatur hinterlassen können, wird im großformatigen Bild nur ein tomographisch grisseliges Einerlei aus rosafarbenen Rasterpunkten. Auch die Recherche von Sandra Becker zum Alltag in den Verkehrsnetzen von Tokio, Moskau oder Berlin wirkt ein bißchen fahrig. Sprunghaft wechseln die Videoaufnahmen von Schnitt zu Schnitt die Örtlichkeit, der darübergesprochene Text ist nicht minder verwirrend: Sätze aus der Arbeitswelt, die plötzlich in einem „Sie erschlug ihn“ verhallen, klingen vor allem wie eine Reminiszenz an die frühen 80er-Jahre- Performances der genialen Dilettanten. Selbst Daniel Pflumms „ICETRAIN“ paßt zum Industrial Revival, obwohl er sich als Partyaktivist mit Clubs wie „Elektro“ und „Panasonic“ um den Lounge- Betrieb des Hardcore-Techno gekümmert hatte. Der Beat, der unter seinen Clip vorbeieilender Züge gelegt ist, klingt schwer nach DAF, und die starr aufs Schienennetz gerichtete Kamera verstärkt den monotonen Charakter der Inszenierung. Manchmal taucht auch Schokoladensauce auf, aber das ist nur der Werbeblock.

Bis 16.8., Di.–Fr. 12–18, Sa./So. 12–16 Uhr, Chausseestr. 128 Harald Fricke

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