Kommentar: Ausgereizt
■ Die USA sind die Verlierer beim Streit um den Internationalen Strafgerichtshof
Ist das Glas nun halb voll oder halb leer? Mit Blick auf beide möglichen Ergebnisse der Verhandlungen über einen Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Rom, die sich gestern abend abzeichneten, ist diese Frage nicht eindeutig zu beantworten. Sicher ist nur: Das Glas ist in den letzten 48 Stunden der fünfwöchigen Konferenz wieder etwas voller geworden. Der gestern morgen vom kanadischen Vorsitzenden unterbreitete Kompromiß für ein ICC- Statut war besser als viele vorangegangene Entwürfe. Zumindest im Grundsatz enthält er die meisten der von Deutschland und 60 gleichgesinnten Staaten geforderten Prinzipien für einen unabhängigen und funktionsfähigen Gerichtshof.
Realpolitisch ist es daher verständlich, daß die deutsche Delegation vom bestmöglichen Statut-Text sprach, der zu erreichen war, und seine Annahme empfahl. Dabei weiß auch Bonn nur zu genau, was die in Rom vertretenen 800 regierungsunabhängigen Organisationen zu Recht monierten: Die Umsetzung der im Statut- Text verankerten Grundsätze in die Praxis ist abhängig von zahlreichen, trickreichen Detailklauseln und langen zeitlichen Fristen. Diese bieten unwilligen Regierungen künftig vielfältige Möglichkeiten, die Arbeit des ICC zu torpedieren und Bürger ihres Landes vor einer Strafverfolgung durch den ICC zu bewahren. Die Gefahr, daß der ICC sich letztlich doch als weitgehend wirkungslose Instanz ohne Durchsetzungskraft und vor allem auch ohne abschreckende Wirkung gegen Völkermord und andere Verbrechen erweist, ist daher noch keineswegs gebannt.
Doch richtig ist auch: Nach den intensiven Verhandlungen in Rom, nach sechs Vorbereitungsrunden und mehrjährigen Vorberatungen im Rahmen der UNO-Generalversammlung ist das Thema ausgereizt. Die Vermeidung einer Abstimmung in Rom – um den Eindruck von Siegern und Verlierern zu verhindern – und auch eine zweite Konferenz ließen keine Verbesserungen des Statuts mehr erwarten. Der politische Verlierer der internationalen Debatte um den ICC steht – unabhängig vom Ausgang der Konferenz – ohnehin fest: die USA. Denn Washington hat mit seinem sturen Beharren auf einem imperialen Modell von „nationaler Souveränität“ selbst seine engsten Verbündeten in Bonn und anderen westlichen Hauptstädten in einer Weise verprellt, die man seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hatte. Andreas Zumach Bericht Seite 4
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