: Auf der Fähre ins Vergessen
Martin tom Dieck und Jens Balzer veröffentlichen ihren Philo-Comic „Salut Deleuze!“ ■ Von Ole Frahm
Am 12.11.1995 brachte sich der französische Philosoph Gilles Deleuze nach längerer Krankheit um. Kurz darauf veröffentlichte der Hamburger Comic-Zeichner Martin tom Dieck ein Epitaph für den hierzulande oft verschmähten Denker im Magazin Strapazin unter dem Titel Salut, Deleuze!. Dieck erzählt, was Deleuze nach seinem Tod widerfährt. Wir treffen ihn in einer Landschaft an einem Fluß wieder: „C'est beau, ici“ – es ist schön hier. Der Fluß ist die Lethe, der Fluß des Vergessens, dessen Überquerung die Toten in die Unterwelt bringt. In der Antike wurden den Toten für den Fährmann Charon Münzen unter die Zunge gelegt. Selten reicht – so berichtet Lukian in seinen Totengesprächen – Charon das Geld, um auch Merkur zu bezahlen, der ihm sein Boot instand hält. Der Schiffer bleibt stets säumig und hofft auf Seuchen und Kriege.
Deleuze hat keine Münze, sondern nur sein Buch Differenz und Wiederholung dabei. Er erzählt Charon, daß er nun genug gedacht hat. Er will Kräuter züchten. Am anderen Ufer warten Roland Barthes, Michel Foucault und Jacques Lacan. Sie begrüßen Deleuze herzlich. Charon kehrt zurück, beginnt zu lesen, und der nächste Tote klingelt vergeblich an dessen Tür.
Der Brüsseler Verlag Fréon édition druckt in dem jüngst erschienenen Band Salut Deleuze! den Comic von Martin tom Dieck, dessen Zeichnungen häufig auch auf diesen Seiten zu finden sind, fünfmal hintereinander ab. Immer von neuem sagt Deleuze: „C'est beau, ici.“ Nun ist er der nächste Tote, der bei Charon klingelt, um wieder überzusetzen. Fünfmal sehen wir dieselben Zeichnungen, lesen aber nicht dieselbe Geschichte. Denn für jede Version hat der Hamburger Comic-Forscher Jens Balzer, ebenfalls taz-Mitarbeiter, den Text variiert.
Die Geschichte wird in der Wiederholung paradox: Denn Charon fährt alle nur einmal über den Fluß des Vergessens. Deleuze scheint dies in seiner Philosophie im doppelten Sinne zu vergessen: Einerseits ermöglicht sein Denken die mehrfache Überquerung der Lethe, andererseits kann er deren Ende – den endgültigen Tod – nicht denken. Wenn der Comic mit schwarzen Panels schließt, ist Deleuze in der Unterwelt angekommen. Die einzige Wiederholung, die bleibt, ist, die gespenstische Wiederkehr des Gilles Deleuze mehrmals zu lesen.
Der Begriff der Wiederholung wird so nicht umständlich erklärt, sondern vorgeführt: Jedes Panel ist ein Ereignis, das zugleich schon einmal (ein paar Seiten zuvor) war oder (ein paar Seiten weiter) noch einmal sein wird. Und doch findet sich jedes Panel nur auf der einen Seite. Meist glauben wir, dieselben Figuren zu sehen, dabei sind es nur die gleichen: Nicht nur die ihnen zugeordneten Worte sind andere, sondern als Zeichen „existieren“ sie lediglich im jeweiligen Panel: „Mais Je est un Autre, toujours“, läßt Balzer Deleuze sagen – und nutzt die für Comics typische, aber selten so präzis thematisierte Dynamik zwischen Differenz und Wiederholung. Indem Salut Deleuze! mit dieser Dynamik die Tradition der Totengespräche und Deleuzes Philosophie parodiert, bleibt das Werk beiden treu. Deshalb wird dieser Comic nie gelehrig. Er ist – wie jedes gute Totengespräch – intelligent, lehrreich und unterhaltsam.
Martin tom Dieck, Jens Balzer: „Salut, Deleuze!“ Fréon édition. Zu bestellen beim Berliner Comicladen Grober Unfug (Tel.: 030/69 40 14 90). Ausstellung mit Arbeiten von Dieck: ab heute in der Armgartstraße. Einen Bericht dazu lesen Sie morgen in der taz. Balzer spricht dort über den Modernismus in der Comic-Ästhetik am 31. Juli, 16 Uhr
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