: Etwas seltsamer Nachgeschmack
■ betr.: „Der letzte Postbote des Führers“, tazmag vom 10./11. 7. 98
Trotz des wohlgemeinten Hohelieds auf die freie Meinungsäußerung bleibt mir nach der Lektüre des Artikels von Horst Meier ein etwas seltsamer Nachgeschmack. Den armen Gary Lauck im Namen des US-amerikanischen Auffassung des freedom of speech auf diese Weise in Schutz zu nehmen, empfinde ich irgendwie als seltsam. Bürgerrechtler in den USA haben gelegentlich für Neonazis Partei ergriffen? Sollen sie bitte gefälligst tun! Andere Bürgerrechtler, auch in den USA, tun dies aber nicht – und zwar mit guten Gründen.
Das Problematische an Meiers Argumentation ist die blinde und prinzipielle Bewunderung für alles US-Amerikanische. Waffenbesitz wird in den USA als hohes verfassungsmäßiges Grundrecht angesehen. Die Justiz vieler US-Bundesstaaten praktiziert die Todesstrafe, leider zu oft auf menschenunwürdige Weise. Aber niemand hat bisher beweisen können, daß dies „gut“ ist. Also freie Meinungsäußerung auch für Volksverhetzer aus der Nazi-Szene? Müssen wir dies in Europa unbedingt nachahmen? Ist die historische Erfahrung des Faschismus diesseits des großen Wassers nicht eine grundlegend andere, die deshalb unvermeidlich einen anderen (juristischen) Umgang mit dieser Problematik zur Folge hat?
Der ganze Artikel ist in seiner Ungeschichtlichkeit von einer äußerst lückenhaften Kenntnis der Meinungsfreiheit in den USA geprägt. Dieser Begriff wurde leider nicht immer mit der gleichen Folgerichtigkeit angewendet. Schön wär's, wenn sozialistische, kommunistische oder gewerkschaftliche Strömungen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten immer die gleiche Redefreiheit genossen hätten wie die NSDAP/AO heute. Genauso naiv ist die Vorstellung, die USA bekämpften die extremistischen Tendenzen nur mit absoluter Freiheit. Tatsächlich gibt es auch ein anderes Mittel zur Bekämpfung dieser Tendenzen, nämlich ein politisches System, das sich durch ein radikales Mehrheitswahlrecht über das Repräsentativitätsprinzip hinwegsetzt. Diese Naivität vieler Europäer, diese Tendenz, die demokratischen Tugenden ausschließlich in den USA zu suchen und dabei kritische US- Stimmen wie Philipp Roth, Gore Vidal u. v. a. fast systematisch zu überhören, ist in höchstem Maße erstaunlich.
Es ist billig, sich über den manischen, hitlerbärtigen Lauck und über das provinzielle Lincoln/Nebraska lustig zu machen. Aber leider liefert die NSDAP/AO von dieser Stadt aus Hetzschriften, die in Europa durchaus Widerhall finden. Es wäre unverantwortlich, nicht einzusehen, daß die US-amerikanische Auslegung der freien Meinungsäußerung für alle eine Gefahr für Europa darstellt, zumal das Territorium der USA eine günstige Ausgangsbasis für die Propaganda und für die Finanzgeschäfte des rechtsradikalen Spektrums anbietet. Hubert Guicharrousse, Berlin
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen