: Exotische Transaktionen an der Fasanenstraße
■ In Berlin werden so viele Wertpapiere gehandelt wie an keiner anderen deutschen Börse. Anleger können ihr Geld in amerikanische Gefängnisse oder englische Fußballklubs investieren
Das Nostalgiepapier gehört zum Urgestein auf dem Berliner Börsenparkett. Schon seit Jahrzehnten steht „Zoologischer Garten mit Aquarium“ auf dem Kurszettel. Die Aktie, die auch ohne Aquarium zu haben ist und heute 8.900 Mark kostet, stammt aus den längst vergangenen Glanzzeiten der Berliner Börse. Diese erwachte erst nach der Wende wieder aus ihrem langen Dornröschenschlaf. Mit einer wachsenden Zahl von Firmenwerten aus Osteuropa und Übersee behauptet sich Berlin im harten Wettbewerb der acht deutschen Wertpapierbörsen.
Ob junge High-Tech-Werte, englische Fußball- oder US-Eishockeyaktien, Anteile amerikanischer Privatgefängnisse und Spielkasinos, Goldminen-Werte oder Titel aus Fernost – an der Berliner Börse haben sämtliche Branchen das Parkett erobert. Fast 2.000 internationale Firmenanteile aus 50 Ländern werden im Freiverkehr an der Spree gehandelt – so viele wie an keiner anderen deutschen Börse.
Für Aufsehen sorgten die Berliner im Februar 1997. Erstmals wurde deutschen Anlegern ermöglicht, Anteile an Sportklubs aus den USA und England zu erwerben. Auf den Kurszetteln tauchte der Baskettballprofiklub Boston Celtics auf. Auch an den Florida Panthers aus der US-Eishockey- Profiliga konnte man sich beteiligen. Ebenso an den Fußballklubs Manchester United oder Tottenham Hotspurs, wo Jürgen Klinsmann kickte und mit seinen Toren für Hoch und Tief der Aktie sorgte. Auch Aktien des Spielzeugherstellers Playboy Enterprises und des Gefängnisbetreibers Correction werden an der Fasanenstraße gehandelt.
Selbst am Erfolg der Wall- Street-Legende Warren Buffet kann man teilhaben: Sein Unternehmen Berkshire Hathaway ist ebenfalls in Berlin notiert. Es ist einer von etwa 800 US-Werten, die den Berliner Freiverkehr dominieren. Allein im Juni starteten 30 neue Titel aus den USA.
Bei Osteuropa-Werten hat sich Berlin zum führenden Spezialmarkt entwickelt. Auf dem Kurszettel standen Anfang Juli 96 Titel aus elf Ländern. Im ersten Halbjahr 1998 wurden an allen deutschen Börsenplätzen Osteuropa- Titel in einem Volumen von 6,5 Milliarden Mark umgesetzt, davon fast 60 Prozent in Berlin. Allein auf Papiere des russischen Erdgasriesen Gasprom entfiel ein Umsatz von rund 850 Millionen Mark.
Nur auf solche „Exoten“ zu setzen gilt als zu riskant. Doch was an der Börse heute noch als Außenseiter gilt, kann in ein paar Jahren schon der Renner sein. Auch der Computerriese Microsoft begann einst als unbekannter Börsenneuling. Andre Stahl/dpa
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