Auf flinken Sohlen

Nachdem in Bremen Kunst im öffentlichen Raum gescheitert ist, richtet sich der „Skulpturenweg Nordhorn“ an der deutsch-holländischen Grenze zum Bleiben ein  ■ Von Fritz v. Klinggräff

Die Resonanz war eher enttäuschend. Kein Ruck ging durch Bremens Öffentlichkeit, nicht einmal ein indigniertes Türenschlagen provozierte die groß gedachte Ausstellung „Do All Oceans Have Walls?“ Vom Sommerregen wurde die Hoffnung auf das Event der als Spuren längs der Weser ausgelegten Kunst weggespült. Dabei hatten die beiden KuratorInnen Eva Schmidt von der Gesellschaft für aktuelle Kunst (GAK) und Horst Griese, Chef des lokalen KünstlerHauses in der Neustadt, mit einer Million Mark nicht nur einen Batzen Förder- und Sponsorenmittel aufgetan, sondern zudem ein anerkannt anspruchsvolles Programm auf die Beine gestellt.

„Auf die Beine“ – auch das war Programm und Kunst des Scheiterns zugleich: Peter Friedls Werk, drei Paar Schuhe, maßgeschneidert für des Künstlers Füße und die seiner KuratorInnen, mag eine berückend gewitzte Reminiszenz an „Kunst im öffentlichen Raum“ darstellen – Teil seines Habitus aber ist es nun mal, öffentliche Kunst buchstäblich vom Sockel zu holen. Wenn Öffentlichkeit haftbar gemacht werden kann, dann nur negativ als eine auf flinken Sohlen entschwindende. Wie auch sonst!

Wie sonst? Na, durch Mimesis an den Tod jeglicher Kunst im öffentlichen Raum, sagt der Brite Patrick Brill, alias Bob & Roberta Smith, mit seiner Bremer Arbeit. Auf seinen Wahlplakaten entlang der Weser wirbt sein Freund, der Punkmusiker Dick Skum, für die Rückkehr in das geschlossene Kraftfeld des Museums: „Besucht unser Sandabguß-Besucherzentrum in der Städtischen Galerie am Buntentorsteinweg“.

Mehr als jedeR zweite der zwanzig KünstlerInnen des „Oceans“-Projekts verzog sich freiwillig in oder direkt vor die Haustür von Bremens Museen und Galerien, um mit Theater, Debatten und Projektionen temporäre und offene Kommunikationsräume zu inszenieren. Vor der Tür des KünstlerHauses blieb auch der französische Künstler Ange Leccia mit seinen beiden Liebenden am Weserufer: Des Nachts scheinen sie einander aus Videomonitoren – hinter butzigen Scheiben zweier Schleusenhäuschen – stroboskopische Liebesblitze zuzuwerfen, Blicke balladesken Verzichts von hüben nach drüben über den Strom. Kunst als Übergang der Stadt zu ihren anderen Ufern! Doch das täuscht. Elektronische Medien funktionieren nicht imaginär. Die Blicke der Heranwachsenden auf den Bildschirmen sind ohne Verlangen.

Ziemlich nüchtern dokumentiert die Bremer Ausstellung „Do All Oceans Have Walls?“ so das Ende von „Kunst im öffentlichen Raum“. Immerhin in einer Stadt, die vor genau fünfundzwanzig Jahren ihr Konzept entwarf und dafür als erste einen Etat zur Verfügung stellte: Die Ersetzung der „Kunst am Bau“ durch die Idee vom „öffentlichen Raum“, bei einem Budget von immerhin 1,15 Millionen Mark im Jahr. Hamburg und Berlin zogen damals nach. Heute gibt es in Bremen den Topf längst nicht mehr; zuletzt wurden 1997 noch 200.000 Mark für öffentliche Werke ausgegeben; aber wer wollte auch Bremen noch weiter mit Kunst vollstellen?

Im 150 Kilometer südwestlich gelegenen Nordhorn mag das anders sein. Da hat es Platz genug auf dem flachen Land zwischen den Kreisstädten dies- und jenseits der holländischen Grenze. Eine kleine Powergruppe um den jungen Chef der Städtischen Galerie Nordhorn, Martin Köttering, sammelte jetzt satte 3,5 Millionen Mark für ein Projekt, das an Ehrgeiz kaum noch zu überbieten ist. Mit insgesamt sechzehn Projekten im öffentlichen Raum – Werken „internationaler Künstler“, wie gern betont wird – sollen grenzüberschreitend zwei schon existierende Kunsträume miteinander verbunden werden: die „Kunstlijn“ zwischen den niederländischen Städten Zwolle und Emmen und der „Skulpturenweg Nordhorn“. Keine temporäre, virtuelle, debattierende Kunst, sondern „Site specifity“ mit bleibendem Wert.

Umsichtig sind Martin Köttering und sein Kollege in der Projektleitung, Roland Nachtigäller, an die Sache herangegangen, damit auch nicht die Spur eines Zweifels bleibt: Hier entsteht Großes. Dafür stehen die angeheuerten KuratorInnen ein. Saskia Bos, Zdenek Felix, Jan Hoet und Harald Szeemann werden jeweils eine „Projektzone“ auf dem Weg zwischen Nordhorn und der holländischen Grenze zu verantworten haben – sie haben sich jetzt auf die Suche nach jeweils vier Künstlern gemacht, deren Namen im Herbst feierlich verkündet werden.

Aber auch die wissenschaftliche Begleitung des Projektes steht für Großes ein: In seiner Vorbereitung entstand im vergangenen Jahr mit dem Band „Störenfriede im öffentlichen Interesse“ ein Reader zum Komplex „Kunst im öffentlichen Raum“, herausgegeben von der Städtischen Galerie. Und die Hochschule Osnabrück beteiligt sich mit einer akribischen kulturwissenschaftlichen Erforschung der vier Projektzonen, damit den künftigen Künstlern keine Fragen offenbleiben. „Ortsbezug“ nämlich ist das Stichwort und verbindet verblüffend konsistent kunsttheoretische Positionsbestimmung und ökonomische Interessen. Die artistische Position trägt den Namen „Kontextkunst“ und funktioniert begrifflich in der Absetzung von den als „Drop-sculptures“ titulierten auratischen Räumen einer Moore-Plastik vor dem Bundestag oder eines Kunstboulevards auf dem Kurfürstendamm.

In seinem Beitrag zu „Störenfriede“ fordert Nachtigäller denn auch eine gesellschaftliche „Indienstnahme der Kunst“. Der Auftrag: vor Ort „ein neues sinnkonstituierendes Beziehungsgeflecht“ zwischen soziologisch gefaßten „Handlungs- und Organisationssystemen“ herzustellen. Jenny Holzers „Black garden“ im Stadtinneren von Nordhorn – zugleich öffentlicher Platz und Zitat auf ein angrenzendes Soldaten-Ehrenmal – und Dan Grahams „Parabolic Triangular Pavilion I“ am Ende eines kurzen Stegs an der Vechte – Bestandteile des alten Skulpturenwegs in Nordhorn – gelten als wegweisend: Nutzräume, die in direkter Auseinandersetzung (teils im Streit) mit dem Ort und seinen Bewohnern entstanden. „Gedankenraum, Geschichtsraum, Kunstraum“, ein jeder durch Fahrradwege mit dem nächsten verknüpft.

Irgendwie Objekte statt nur Debatten sollen bei den künftigen „Kunstwegen“ also schon entstehen, das machten die Projektleiter bei der Vorstellung ihres Konzeptes klar. Sollen sie doch eingebunden werden in ein Tourismusprojekt, für das nicht nur die Kreissparkasse vor Ort mit 300.000 Mark als Sponsor einsteht, sondern dem allein aus dem Europafonds „für regionale Entwicklung“ eine Million Mark zufließen: zwecks tourismusfördernder Entwicklung einer strukturschwachen Region. Grenzüberschreitend wurde anläßlich der Eröffnung des Projekts von Behördenvertretern aus der Grafschaft Bentheim wie aus Holland die kulturelle Identität ihres grenzüberschreitenden Landstrichs beschworen: Die sechzehn künstlerischen Sinnverschiebungen, die künftig den Weg von Nordhorn nach Holland weisen, werden von einer großen Einheit getragen.

„Do All Oceans Have Walls?“, noch bis 27. 7. in Bremen