: Wenn ein großer Dichter „stirbt“
In Erwägung all der Dinge
und im Angesicht der Lage
führe ich nicht länger Klage,
sondern hole Luft und springe.
Und ich stürze, fliege, falle,
und ich ahne das Gezeter
der Passanten, wie sie alle
voller Panik schreien: „Seht, er
springt vom Turm! Welch ein Verlust:
Der mit Abstand größte Dichter
geht und tritt vor seinen Richter!“
Und mit stolzgeschwellter Brust
seh ich vor mir, wie die Meinen
um den Ihren bitter weinen;
sehe, wie das Heer der Leser
und auch Kumpel wie Herr Greser
ohne mich auf dieser Erden
irgendswie ganz traurig werden!
Im Bewußtsein all der süßen
Tränen um den Dichterrecken
klatsche ich mit beiden Füßen
in das blaue Springerbecken,
gleite jauchzend, todesfroh,
mitten in das H2O,
werde naß und immer nasser,
aah, ich kriege keine Luft!
Also gut, du dunkles Wasser:
Sei du Grab! Sei meine Gruft!
Um die Unterwelt zu loben,
tauche ich ganz fix nach oben,
und ein letztes Mal durchbreche
– ach, Freund Hein, mach dich bereit! –
ich die Wasseroberfläche,
und dann, endlich! ist's soweit:
Selig und in Gottes Hand
schwimm ich an den Beckenrand,
geh noch kurz unter die Brause
und dann mausetot nach Hause...
Thomas Gsella
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