piwik no script img

Wenn ein großer Dichter „stirbt“

In Erwägung all der Dinge

und im Angesicht der Lage

führe ich nicht länger Klage,

sondern hole Luft und springe.

Und ich stürze, fliege, falle,

und ich ahne das Gezeter

der Passanten, wie sie alle

voller Panik schreien: „Seht, er

springt vom Turm! Welch ein Verlust:

Der mit Abstand größte Dichter

geht und tritt vor seinen Richter!“

Und mit stolzgeschwellter Brust

seh ich vor mir, wie die Meinen

um den Ihren bitter weinen;

sehe, wie das Heer der Leser

und auch Kumpel wie Herr Greser

ohne mich auf dieser Erden

irgendswie ganz traurig werden!

Im Bewußtsein all der süßen

Tränen um den Dichterrecken

klatsche ich mit beiden Füßen

in das blaue Springerbecken,

gleite jauchzend, todesfroh,

mitten in das H2O,

werde naß und immer nasser,

aah, ich kriege keine Luft!

Also gut, du dunkles Wasser:

Sei du Grab! Sei meine Gruft!

Um die Unterwelt zu loben,

tauche ich ganz fix nach oben,

und ein letztes Mal durchbreche

– ach, Freund Hein, mach dich bereit! –

ich die Wasseroberfläche,

und dann, endlich! ist's soweit:

Selig und in Gottes Hand

schwimm ich an den Beckenrand,

geh noch kurz unter die Brause

und dann mausetot nach Hause...

Thomas Gsella

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen