: Mate-Brause bei martialischem Rauschen
■ Und ewig knarzt der Weltempfänger: In der hörbar treffen sich jeden Mittwoch die Freunde postindustrieller Experimente. Kunst ist hier nur ein ganz kleines Wort
Kunst ist ein großes Wort. Aber auch etwas Alltägliches: eine Lebensäußerung, die oft nur in geschützten Räumen stattfindet. Dem wollen die Leute von der hörbar etwas entgegensetzen. „Die Idee ist, die Isolation zwischen Publikum und Musiker, die übliche Trennung zwischen Produzenten und Konsumenten aufzuheben“, erzählt Thomas Beck. Ein hoher Anspruch, wenn man den Muikgeschmack der hörbar kennt: Da knarzt und knistert es schon einmal, als ob der nicht entstörte Rasierer den Weltempfänger auf der Kurzwelle trifft.
Der in Deutschland einzigartige Verein hat sich der Förderung experimenteller Musik verschrieben und residiert in St. Paulis Hinterhofkino B-Movie. Immer Mittwochs (ab 19 Uhr) trifft sich die kleine Schar, schlürft Mate-Brause und läßt sich das Äther-Einerlei aus den Gehörgängen spülen. Seit sechs Jahren realisieren sie Performances, Konzerte oder Lesungen, die alle mit „Klangerzeugung“ zu tun haben.
Für Beck steht der „Informationsgehalt alltäglicher Klänge“ im Vordergrund. „Es ist nicht wichtig, daß man das Geräusch identifizieren kann. Ich isoliere es aus einem Zusammenhang und packe es in einen anderen. So entsteht Spannung.“ Das weckt Reaktionen: „Die Leute fragen sich, ob das Musik ist oder nicht. Wir möchten Hörgewohnheiten durchbrechen und Wahrnehmung schärfen – für das eigene Leben.“ Es ist kein Kinderspiel, die sperrige Geräuschmusik als nicht-akademische Variante ans Ohr zu bringen. „Wir haben bei Konzerten die Erfahrung gemacht, daß die Hemmschwelle sehr groß ist. Darum wollten wir einen Treffpunkt einrichten, an dem man sich zwanglos einfinden und reden kann, ohne gleich mit einer festen Absicht anzukommen.“
Einmal monatlich trommelt der Verein seine Getreuen in den Kinosaal zum Konzertabend. Neben lokalen Größen konnten die Ohrmuschelrauscher auch schon internationale Gäste in ihr Netzwerk einbeziehen. Auf dem jährlichen Workshop „Noise Factory“, diesmal am 28. August, werden gemeinsame Projekte auf den Weg gebracht. Gedanklich entspringt ihre Vorstellung der (post-)industrial art der frühen 80er, als Bands wie Throbbing Gristle oder SPK das Industriezeitalter in Stücke brachen. Damit einher geht eine bestimmte Sichtweise auf die eigene Arbeit, wie Beck sie zusammenfaßt: „Es ist kein Privileg, Kunst oder Musik zu machen, sondern was ganz Normales.“
Thomas Schulze
Lesen Sie morgen den fünften Teil von „Kultur greift Raum“: F 18 – Artefakte im Abbruchhaus
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