Bremerhaven, still alive

■ Wenn der Ausstellungsmacher zum Künstler wird: Kunsthallenchef Wesseler gruppiert zum vierten Mal seine Kunstschätze kreuz und quer zu ihrer Chronologie

Es ist ein Blick in die gute Stube der Kunstsammlung – alljährlich holt Jürgen Wesseler einen Teil der Schätze des Bremerhavener Kunstvereins aus dem umfangreichen Keller-Archiv ans Tageslicht, um sie in den zwei Räumen und Fluren der kleinen Kunsthalle öffentlich zu präsentieren. So gibt es auch in diesem Jahr ein Wiedersehen mit den Worpswedern Otto Modersohn, Paula Becker-Modersohn und Heinrich Vogeler. Mitten hinein in dunkle Moorkaten, Birkenreihen und Vogelers schattenrißartiges Selbstbildnis platzt die „Engelsburg“ von Oswald Achenbach (1882), die hier im güldenen Abendlicht leuchtet wie nie zuvor: Sie wurde für die Düsseldorfer Achenbach-Retrospektive sorgfältig gereinigt.

Zwischen alte Meister verteilt Kunstvereins-Chef Wesseler listig die in den letzten Jahrzehnten erworbenen Stücke der jüngsten Moderne, pop-farben Abstraktes von Gerhard Richter, Palermos rote Strichzeichnungen mit Holzdecke, Hanne Darbovens 12-teilige Zahlentafel, und – besonders lakonisch – Andreas Slominski: Unter einer Glasvitrine liegen fein säuberlich geschichtet verschiedenfarbige Staubtücher (“unbenutzt“, Ankauf 1996). Daneben an der Wand: Slominskis „Einzelkind zwischen Zwilling und Drilling“ (1986), drei „Knabenhauben“ in transparenter Schutzhülle, zwei Latex-Trainingshauben (“für Knaben und Mädchen“), im Zentrum der Reihe eine Stoff-Badehaube für Mama, alle aus der „Collektion Chakaresse“, bei Schlecker erworben (für 1.99 oder 3.49 Mark). Neben Slominski ist nur einer noch knapper: On Kawara hat aus New York ein Telegramm an Jürgen Wesseler geschickt: „I Am Still Alive“ (1995), ein unscheinbarer Zettel unter Glas. Im Nebenraum s/w-Fotos von Man Ray, WOLS, Laszlo Maholy-Nagy und Otto Umbehr (mit anrührenden Porträt-Aufnahmen aus der Nachkriegszeit). In diesem „Potpourri“ – so der Titel der Ausstellung – verwandelt sich Kunstgeschichte in kleine Geschichten. Das Alte und das Neueste korrespondieren miteinander, schlagen Brücken und machen Brüche sichtbar. Wer sich mitten in den großen Saal stellt und einmal um die eigene Achse dreht, sieht den Weg von der mächtigen Gebirgslandschaft (Carl Maria Nikolaus Hummel, 1871) bis zur Concept-Art und darüber hinaus zu Nan Goldins New Yorker Junkie-Szene in wenigen Sekunden. Ein Kaleidoskop aus mehr als 100 Jahren Kunst, fein sortiert und gut gehängt. Die jüngste Neuerwerbung ist eine Schenkung der Künstlerin. Cecilia Edefalk, letztes Jahr Stipendiatin in Bremerhaven, nennt ihre Aquarelle „Meeresbusen“. Für die nackte Brust einer Frau verwendet sie Farben, die sie teils mit Wasser aus der Lagune von Venedig, teils mit Wasser aus dem Hafen von Bremerhaven angerührt hat. Die zarten, zerlaufenen Linien und Flächen mischen sich beispielhaft unter diese Sammlung von Tradition und Moderne: Die blassen Spuren verfließenden Fleisches werden zu Metaphern für die Kunst, die sich aus der Abbildbarkeit der Welt verabschiedet und dennoch mit leiser Ironie an den Bildern der vergänglichen und ewigen Schönheit festhält. Ein Potpourri mit starken Reizen, sehr lebendig, nicht nur für Sommergäste. Hans Happel

Potpourri IV: bis 13. September Di-Fr 14-18 h, Sa-So 11-13 h