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Neuer Luftfahrtriese in Europa

Die französische Aerospatiale wird privatisiert und fusioniert mit der Lagardère-Gruppe. Wichtiger Schritt zur europaweiten Neuordnung der Airbus-Industrie  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Getreu ihrem Motto: „Was scheren uns unsere Versprechungen vom vergangenen Jahr“, hat die rot-rosa-grüne Regierung in Paris am Dienstag abend der Privatisierung von Aerospatiale zugestimmt. Das Luft- und Raumfahrtunternehmen mit einem Jahresumsatz von 55 Milliarden Francs (17 Milliarden Mark) soll mit der Lagardère-Gruppe fusionieren, die ihrerseits von der Datenautobahn über die Rakatenproduktion bis hin zum Verlagswesen omnipräsent ist.

Nach der am Dienstag abend in einem hochsommerlichen Überschungscoup von Premierminister Lionel Jospin bekanntgegebenen Einigung soll die Lagardère- Gruppe zwischen 30 und 33 Prozent der Aktien von Aerospatiale bekommen, das damit zugleich den Schritt an die Börse macht. Drei bis vier Prozent des Aktienkapitals soll die Aerospatiale-Belegschaft bekommen. Der französische Staat will 45 bis 49,9 Prozent des Kapitals behalten – und vor allem die entscheidende Stimme.

Die Operation ist die bisher größte Privatisierung der Regierung Jospin. Sie erfolgt zwei Monate nachdem der sozialistische Verteidigungsminister Alain Richard versichert hatte, Aerospatiale werde nicht privatisiert.

Mit der Fusion entsteht Europas größte und weltweit viertgrößte Raum- und Luftfahrtgruppe (nach den drei US-Amerikanern Boeing, Lockheed und Raytheon Hughes). Die neue Gruppe wird rund 56.000 Beschäftigte haben und einen Jahresumsatz von 80 Miliarden Francs (24 Milliarden Mark) erwirtschaften. Ihre Produktpalette wird vom Airbus über Raketen bis zu Satelliten reichen.

Der Hauptnutznießer dieser Operation, Jean-Luc Lagardère, hat damit ein erstaunlich schnelles Comeback erlebt. Noch vor wenigen Monaten war mit seinem Versuch gescheitert, das ebenfalls staatliche Rüstungselektronik-Unternehmen Thomson CSF zu übernehmen.

Die Konturen der jetzt eingeleiteten Operation entsprechen exakt den Anforderungen, die von den Regierungen in Bonn und London und den industriellen Partnern Dasa und Britisch Aerospace an die französische Regierung gerichtet wurden. Als Voraussetzung für die weitere europäische Rüstungszusammenarbeit und für die Verwandlung des Airbus-Konsortiums in eine Aktiengesellschaft hatten sie verlangt, daß der französische Staat seine Monopole in der Branche aufgibt. Anstelle des staatlichen kann nunmehr ein gigantisches privates europäisches Monopol entstehen. Mit dem Entstehen der Aerospatiale-Lagardère-Gruppe ist der Weg für die Gründung der integrierten europäischen GIE Airbus Industrie zum 1. Januar 1999 frei.

Jospin spielt mit dieser in aller Heimlichkeit ausgehandelten Fusion mit dem Feuer. In den Gängen der Aerospatiale kochte zwar seit Jahren die Gerüchteküche über eine bevorstehende Privatisierung immer wieder hoch, aber die Belegschaft ist ziemlich stark organisiert und möglicherweise sogar zu einem Kraftakt gegen die rot-rosa- grüne Regierung bereit.

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