: Ein Urteil gegen Irans Präsidenten
Ein Teheraner Gericht verurteilt Bürgermeister Karbaschi zu fünf Jahren Haft und 20 Jahren Politikabstinenz. Das eigentliche Ziel ist Regierungschef Chatami ■ Von Thomas Dreger
Berlin (taz) – Am Ende half selbst ein theatralischer Gefühlsausbruch nicht. Unter Tränen erklärte Teherans Oberbürgermeister Gholam Hossein Karbaschi in seinem Schlußplädoyer am 12. Juli: „Ich habe niemals auch nur einen Rial aus öffentlichen Etats genommen, und ich habe seit meiner Jugend auf die Islamische Revolution vertraut.“ Als er zu Schahzeiten im Gefängnis saß, habe er zumindest den Grund dafür gekannt, doch seit er vor drei Monaten in einem Gefängnis der Islamischen Republik gelandet sei, habe er nicht herausbekommen, warum.
Gestern verurteilte ein Teheraner Gericht Karbaschi wegen Korruption und Veruntreuung öffentlicher Gelder zu fünf Jahren Haft, sowie einer Geldstrafe von umgerechnet fast 600.000 Mark. 60 Peitschenhiebe wurden für vier Jahre auf Bewährung ausgesetzt. Zudem ist Karbaschi die nächsten 20 Jahre von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen.
Letzteres signalisiert für Karbaschis Anhänger: Die Richter wollten das politische Aus des Verbündeten des als Reformer geltenden Präsidenten Mohammad Chatami. Für sie bildet das Urteil das Ende eines politischen Prozesses. Dessen Ziel war es, einen der einflußreichsten Gegner des religiös-politischen Establishments mundtot zu machen.
In Anspielung auf die politische Bedeutung des Falls erklärte Richter Gholam Hossein Mohseni Edschai, das Gericht habe bei der Urteilsfindung versucht, alle nicht entscheidenden Ereignisse unberücksichtigt zu lassen – sprich: den Konflikt zwischen Konservativen und Reformern. Karbaschi, der gegen Kaution auf freiem Fuß ist, erschien demonstrativ nicht zur Urteilsverkündung. Er hat nun zwanzig Tage Zeit, um in die Berufung zu gehen.
Das Urteil ist ein harter Rückschlag für Präsident Chatami. Erst am Dienstag hatte er einen Punktsieg gegen seine konservativen Gegner erlangt. Das von Konservativen dominierte Parlament hatte seinen neuen, reformorientierten Innenminister gebilligt. Die gestrige Runde ging dagegen klar an Chatamis Gegner.
Der Prozeß gegen Karbaschi fand unter dubiosen Umständen statt. Die Anklage präsentierte „Geständnisse“ und „Anschuldigungen“ von ebenfalls inhaftierten Mitarbeitern des Bürgermeisters. „Sie haben eine Gruppe von 70 Leuten zusammengestellt, die gerade mal einen Schulabschluß haben – die Ermittler. Die schleppen eine Person in einen Keller und kommen mit einem Geständnis wieder heraus“, hielt Karbaschi an einem Prozeßtag den Behörden vor.
Einer der Geständigen, sein Stellvertreter Kamal Azimi Nia, habe ihm später in einem Brief beschrieben, wie seine Aussage zustandegekommen sei, erklärte Karbaschi und verlas folgende Zeilen: „Als sie mich vor Gericht gebracht haben, konnte ich kaum laufen, so sehr hatten sie mich im Gefängnis mit Peitschen und Knüppeln verprügelt.“
Angesichts Karbaschis Vorliebe für klare Worte ist unwahrscheinlich, daß er sich jetzt kaltstellen läßt. Er kann auf einen enormen Rückhalt in der Bevölkerung bauen. Nach seiner Verhaftung waren Zehntausende spontan auf die Straße gegangen. In den Augen dieser Menschen dürfte das Urteil den Bürgermeister endgültig zum Helden verklärt haben.
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