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Der Geschmack des Ostens

Der kulinarische Alltag in den Dörfern der Deutschen Demokratischen Republik war bockelhart und verlangte gute Beziehungen. Im Dorfkonsum gab es Schokolade mit Stierblut und in der Kneipe eine Cola mit Bodensatz. Ein Erfahrungsbericht von der sozialistischen Tafel  ■ Von Andreas Hergeth

Meiner Tante habe ich das nie verziehen. In allen heißersehnten Päckchen, die stets zu den Geburtstagen, zu Ostern und Weihnachten kamen, steckte neben etwas Schönem „zum Anziehen“ auch Naschwerk. Aber immer das Falsche. Ich war ein Gegner – nein, nicht des DDR-Staates, aber der Schokolade „Creck“. Sie schmeckte undefinierbar, kostete eine Mark, und als Köder gab es Bildchen zum Ausschneiden.

Mal waren es Tiere, dann Pflanzen oder Sportler, die man ausschnippeln und in ein extra gekauftes Heftchen kleben konnte. Auch wenn ich die Schokolade haßte, ein Sammelheftchen nannte ich doch mein eigen. So ein Ding hatte schließlich jeder. Meine Geschmacksnerven waren allerdings auf andere Sorten ausgerichtet. Da gab es die „Schlagersüßtafel“, eine Schokolade mit Erdnüssen.

Gerüchte, daß das Zeug Stierblut enthielt, ließen mich kalt. Sie war lecker und auch noch zwanzig Pfennig billiger. Aber vermutlich hat die Tante den von ihr bevorzugten Schokoladenschocker „Creck“ fast umsonst bekommen, ihr Mann war beim DDR-Zoll beschäftigt mit Zugang zur „Sonderverkaufsstelle“.

Meine Mutter hatte andere Quellen. Sie kochte für die Soldaten der Grenzkompanie. Dank der armeeeigenen Verkaufsstelle im „Objekt“ schleppte sie manches nach Hause. Das in der DDR allseits beliebte Letscho, Paprika in Sauce aus ungarischer Glaskonserve, war Mangelware. Wir hatten davon immer einige Gläser im Keller.

Negerküsse zu besorgen – offiziell Schokoküsse, aber alle nannten sie Negerküsse –, von denen jeder DDR-Familie auf dem Dorf nur zehn Stück pro Lieferung zustanden, war für Mama kein Problem. Auch Apfelsinen, Mandarinen oder Melonen, für Normalsterbliche im Dorfkonsum höchstens zweimal im Jahr zu kaufen, gab es bei uns sehr viel öfter. Gleiches galt für die familiäre Fleischversorgung. Muttern beschaffte auch außerhalb der Reihe Kotelett und Gehacktes oder zu Feiertagen sogar Schweine- und Rinderfilet – DDR- weit eine Sensation.

Für Genossen, die an der Grenze zum bösen Feind Wache standen, hatte der Staat etwas übrig: „Sonderkontingente für Waren des täglichen Bedarfs“ hieß das damals. Ja, ich gestehe: Wir waren kulinarisch privilegiert, was auch so schöne Dinge wie leckere Marmelade aus der Tube oder Frühstücksbeutel aus Plaste bedeutete. Damit war ich der einzige in der Klasse, der auf eine Brotdose, die schon damals völlig untrendy war, verzichten konnte. Viele DDR-Bürger schnitten Milchbeutel auf, wuschen sie und verwendeten sie als Plastetüte fürs Pausenbrot.

Die „Deutsche Kulinarische Republik“ hatte zwar ihre Versorgungsprobleme, aber auch manchen Leckerbissen. So denke ich mit Wehmut an die Zeit, in denen sozialistische Salmiakpastillen auf der Zunge zergingen. Von ihnen wurden nur wenige Sorten produziert, die aber nie in der gesamten Republik zu haben waren.

Schon gar nicht in der Provinz. So wurde man zum Jäger und Sammler. Mit dem Bus in die nächste Kleinstadt, mußte man schon viel Glück haben, etwas Besonderes zu ergattern: zum Beispiel Dosenmandarinen aus China für stolze zwölf Mark im Delikatladen.

Mit diesen Läden, Mitte der sechziger Jahre entstanden, versuchte der Staat, das Geld seiner Bürger abzuschöpfen, das diese mangels Kaufangeboten horteten. In den Delikatläden gab es, schwer überteuert, auch einige ausländische Qualitätsnahrungsmittel, die sonst nirgendwo, jedenfalls für Ostknete, zu kaufen waren.

Ohne Beziehungen war der gemeine DDR-Bürger kulinarisch aufgeschmissen. Da hatte unsere Familie mehrfaches Glück. Denn über uns wohnte die Kassiererin aus der Verkaufsstelle, zudem waren wir mit der Chefin des Ladens befreundet. Das half meiner Salmiakpastillensucht. Gab es eine Lieferung, meist ein kleiner Karton mit fünfzig Tütchen, bekam ich stets die Hälfte, unterm Ladentisch, versteht sich, und spottbillig.

Hatte ich einen guten Tag, schickte ich ein superkleines Päckchen an meine Schwägerin nach Schwerin, die ebenfalls unter Pastillensucht litt, über keinerlei Beziehungen verfügte und für meine milden Gaben bis heute dankbar ist. Wir sind uns einig: Die heutigen Westpastillen schmecken scheußlich.

Es war also nicht alles schlecht in der DDR. Es war aber auch nicht alles gut. Das Bier in der Dorfkneipe war ja noch ganz okay, andere Alkoholika schmeckten mit jedem Glas mehr sowieso immer besser. Aber was uns die Kombinate an nichtalkoholischen Getränken zumuteten, war beinahe Körperverletzung. Über die bonbonsüßen Limonaden soll hier gnädig der Mantel des Schweigens ausgebreitet werden. Selters oder Tonic waren Mangelware. Cola gab es gleich in mehreren Sorten. „Club-Cola“ schmeckte fad, „Quick-Cola“ nach eingeschlafenen Füßen, und bei der „Stern-Cola“, die 1978 energiereduziert auf den Markt kam, fragten wir uns immer, was da unten auf dem Flaschenboden so alles herumschwimmt.

Das Kombinat lieferte nur einmal die Woche alkoholfreie Getränke. Bier kam zweimal die Woche. Der DDR-Staat wußte, wie er seine Untertanen ruhigstellt. Bier und Schnaps waren immer reichlich, Durstlöscher ohne Prozente dagegen Mangelware. Sobald es heiß wurde, kollabierte die Brause- und Colaversorgung. Mal reichten die Flaschen nicht, mal war der Zucker alle, der Limonadengrundstoff knapp oder die alten Anlagen kaputt. Da nutzten selbst beste Beziehungen nichts mehr. Die billigste (50 Pfennig für die Halbliterflasche) war auch die beste DDR-Cola. Die „Vita-Cola“ war nicht so süß und mundete frischer, gekühlt schmeckte sie wie richtige Coca Cola, die man schon mal im Ungarnurlaub gekostet hat. Die „Vita“ enthielt einen Schuß Zitrone und prickelte etwas. Nach vierjähriger Pause gibt es „Vita-Cola“ jetzt wieder zu kaufen. Der Umsatz klettert und hat inzwischen sogar „Pepsi“ abgehängt.

So ein Wiederkehrer – danke! – ist auch meine Lieblingsschokolade von „Zetti“. Unter dieser Marke wurden mehrere Sorten hergestellt. Beliebt waren die Tafeln im Miniformat mit den Figuren des DDR- Kinderfernsehens wie Pittiplatsch. Die kleinen Schmeckerli gibt es nicht mehr, aber seit 1995 wieder die Knusperflocken, eine Spezialität aus Schokolade und Knäckebrotsplittern. Der Hersteller, die Leipziger Goldeck Süßwaren, kann sich freuen: Im letzten Jahr erlebten die Knusperflocken mit zweistelligen Wachstumsraten im Osten einen Boom ohnegleichen.

Aus dem Hause „Zetti“ kommt noch ein anderes Stück DDR-Kult: „Bambina“. Seit Frühjahr dieses Jahres kann man sie wieder kaufen, die „zartschmelzende Vollmilchschokolade mit einer Füllung aus Karamel und Nußsplittern“. Das war und ist ja sooo lecker. All die „Bambina“-freien Jahre haben viele Leidensgenossen wehmütig an die goldenen Schokojahre zurückgedacht: „Weißt Du noch...“

Wenn es sie denn einmal zu kaufen gab, wurde die Tafel geradezu rituell verspeist. Dabei war weniger der exzellente und für DDR-Verhältnisse einzigartige Geschmack wichtig als vielmehr die lustige Verpackung. Vorne und hinten waren mampfende Kühe und jeweils ein „Bambina“ essendes Kind abgebildet, neben ihnen waren sprechblasengleich Kaugeräusche zu lesen: Da machte es „schmatz“ und „mampf“ und „schnurps“, und die ganze Clique lachte sich jedesmal einen Ast. Viele Jahre war das unser sozialistischer Running gag.

Wie kann man da heute am Regal mit „Bambina“ vorbeigehen und nach einer westdeutschen Schokolade greifen. Sorry, aber unsere Geschmacksnerven erfuhren eine andere, ganz eigene Sozialisation. Soviel Selbstbewußtsein muß sein: Vom Osten lernen heißt schmecken lernen!

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