Vom Mythos der Verschwörung

Freimaurer – meist weiß man nur, was oder wer sie nicht sind: Sie sind keine Religion, sagen die Amtskirchen. Sie sind keine Sekte, sagt die zuständige Enquetekommission des Bundestages. Sie sind keine Partei – auch wenn unter ihren Mitgliedern Politiker sind. Und sie gehören nicht zur Mafia – auch wenn sich verbrecherische Organisationen wie etwa die italienische P 1 mitunter Logen nennen.

Etwa 450 Freimaurerlogen gibt es in Deutschland, mit 15.000 Mitgliedern. Weltweit sind es sechs Millionen. Die Logenbrüder propagieren Humanität, Toleranz, Frieden. Ihr Ziel ist die geistig-ethische Vervollkommnung des Menschen auf Erden. Dagegen kann man ja wohl nichts einwenden. Und doch haftet den Freimaurerlogen wenn schon nicht der Ruch der verschwörerischen Geheimgesellschaft, so doch zumindest der Ruf der Sekte an.

Bloßes Opfer einer abstrusen Legendenbildung sind die Freimaurer dabei nicht. Der Argwohn, der ihnen entgegenschlägt, ist zu einem gut Teil selbst verursacht. Die Logen, im 18. Jahrhundert in England entstanden, sind für Außenstehende bis heute unbegreiflich geblieben. Und das ist gewollt. Zwar wollen die Freimaurer sich für die Öffentlichkeit öffnen, unterhalten Pressestellen, sind beim Vereinsregister eingetragen und finanzieren Museen in eigener Sache.

Doch wenn publik werden soll, was in den Logen vor sich geht, schweigt der Freimaurer sich aus. Man trifft sich im Séparée, zelebriert Okkultes und weigert sich, die Namen der Mitbrüder zu veröffentlichen. Das hat etwas Geheimniskrämerisches, etwa Elitäres: Man grenzt sich ab von den „Profanen“, wie die Freimaurer ihre logenabstinenten Mitmenschen nennen. Das Schweigegelübde sei pädagogisch inspiriert, eine „Übung zur Verschwiegenheit und Selbstbeherrschung“, heißt es auf der Homepage der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland. „Mit anderen Worten: Schwätzer sind bei uns fehl am Platz“, wird man ein paar Sätze weiter schon deutlicher.

Man pflegt den Nimbus des Geheimnisvollen. Ein wenig muslimischer Sufismus hier, ein wenig altägyptischer Isis-Kult und jüdische Kabbala da, dazu Christliches und Handwerkssymbole – ein Potpourri der Mystik bieten die Maurertreffen, die sogenannten Tempelarbeiten. Die bizarren Rituale und die geheimnisumwitterte Aura haben durchaus ihren Sinn. Sie faszinieren und sorgen so für Logennachwuchs, sind PR in eigener Sache. Zugleich jedoch ist das Image eines Geheimbundes schwer zähmbar – es sorgt nicht nur für Attraktivität. Es schafft auch Mißtrauen.

Argwohn wird den Freimaurern seit ihrer Gründung vor fast dreihundert Jahren entgegengebracht. Zunächst waren es vor allem die absolutistisch regierenden Herrscher Europas, die Grund hatten, sich vor den neuen Geheimbünden zu fürchten. Allein die Tatsache, daß die Freimaurer die als heilig geltenden Standes- und Konfessionsschranken bei der Aufnahme ihrer Mitglieder ignorierten, machte den Logenbeitritt zu einem oppositionellen Akt. Es war vor allem das aufstrebende Bürgertum, die um politischen Einfluß bemühten Bildungsbürger, die, zusammen mit dem kritisch eingestellten Teil der adligen Führungsschicht, die Freimaurer zu einer einflußreichen Macht im Staate machten.

Spätestens nachdem sogar Friedrich der Große öffentlich seine Maurermitgliedschaft bekannte, war klar: In diesen Logen sitzt die Macht. Wer Einfluß will, muß Maurer werden. Doch gerade die stete Versöhnung der Maurerlogen mit den Mächtigen war es auch, die ihnen mit der Zeit den Ruf der oppositionellen Speerspitze nahm. So wurden etwa die Hohenzollern bekennende Protektoren der preußisch-vaterländischen Großlogen. Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Diese bedankten sich mit besonders patriotischer und kaisertreuer Gesinnung. Die Politik hatte keinen Grund mehr, in ihr eine Gefahr zu sehen.

Im Gegensatz zur katholischen Kirche: Nur ein Jahr nach der Gründung der ersten deutschen Loge (1737) erließ Papst Clemens XII. einen Bann gegen die Freimaurer. Wer Mitglied einer Loge war, wurde exkommuniziert. Der Vatikan ging sogar so weit, die Zerstörung aller Versammlungsräume, Vermögenskonfiszierung und selbst die Todesstrafe für Freimaurer zu fordern.

In der Tat bedrohten die Freimaurer durch ihre Toleranz gegenüber sämtlichen Religionen den Absolutheitsanspruch der katholischen Kirche. Vor allem fürchtete man, hier könnte eine Art „Ersatzkirche“ entstehen, die das Seelenheil im Diesseits versprach und das Bedürfnis der Menschen nach Mystik in der aufgeklärten und damit entzauberten Welt erfüllte. Der Klerus sah seinen Stern sinken.

Den Höhepunkt der Freimaurerhysterie markierten Ende des 19. Jahrhunderts die Schriften des Exmaurers Leo Taxil, in denen er seinen ehemaligen Logenbrüdern Teufelskult und sexuelle Orgien vorwarf. Die Kirche berief extra „Antifreimaurerische Kongresse“ ein, auf denen Taxil vor Bischöfen seine Sexualtheorie vortragen durfte. Als er nach zwölf Jahren fleißiger Agitation auch den liberalsten Geistlichen alarmiert hatte, gab er zu, sich alles nur ausgedacht zu haben. Die Antifreimaurerfront begann zu bröckeln.

Die Exkommunikation als Strafe für die Mitgliedschaft in einer Loge hob die katholische Kirche jedoch erst 1983 auf. Im neuen Kirchengesetzbuch (CIC) sind die Freimaurer als Kirchenfeinde nicht mehr erwähnt – Anfeindungen sind dennoch geblieben, wie durch Joseph Kardinal Ratzinger, der die Mitgliedschaft in einer Loge als „schwere Sünde“ geißelte.

Im Vergleich zu der Vehemenz, mit der die Nationalsozialisten gegen Freimaurer vorgingen, waren die Bemühungen der Kirche eher harmlos. Die Naziideologen verbreiteten das Schlagwort von der „jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung“ – was ihnen als Begründung diente, das Vermögen der Logen zu beschlagnahmen, die Versammlungshäuser der Freimaurer zu verwüsten und die Logenbrüder zu verfolgen. Schon 1921 hatte der Völkische Beobachter verkündet: „Die Freimaurerfrage ist jetzt wichtiger als die Judenfrage.“ Freimaurerisch, das hieß den Nazis internationalistisch, undeutsch, verschwörerisch. Das „Schanddiktat“ von Versailles galt als Freimaurerwerk, und auch die Niederlage im Ersten Weltkrieg wurde den Logenbrüdern angelastet.

Vor allem Heeresführer Erich Ludendorff erkärte den Kampf gegen die Freimaurer zu seiner Lebensaufgabe. Seine Hetzschrift „Vernichtung der Freimaurerei durch Enthüllung ihrer Geheimnisse“ verkaufte sich in den ersten vier Monaten nach Erscheinen hunderttausendmal. Doch die spektakulär angekündigte Enthüllung erwies sich als eher unüberraschend: „Das Geheimnis der Freimaurerei ist überall der Jude.“

Aus Angst vor Repressionen stellten schon wenige Wochen nach Hitlers Machtübernahme die ersten Logen ihre Tätigkeit ein. Die preußischen Großlogen verloren zwischen 1933 und 1935 die Hälfte ihrer Mitglieder. Anpassung schien die Rettung. Man verlegte sich auf vorauseilenden Gehorsam: Viele Logen verlangten den Ariernachweis als Aufnahmebedingung. Manche Logengroßmeister gar versuchten Nazigrößen klarzumachen, die Ziele des neuen deutschen Staates seien auch die geheimen Ziele der Freimaurer.

Vergeblich: Im August 1935 mußten die Logen im Rahmen eines großen Logentreffens unter Aufsicht der Gestapo ihre eigene Auflösung beschließen. In der Folge wurden die ehemaligen Mitglieder registriert und zum Teil verfolgt.

Trotz ihrer Zerschlagung waren Freimaurer den Nazis weiter Sündenböcke: Noch 1942 versuchte Hitler den Deutschen weiszumachen, daß Freimaurer und Juden den Krieg angezettelt hätten.

Heute noch ist die Annahme weit verbreitet, daß die Freimaurer die Geschicke der Gesellschaft heimlich beeinflussen. Selbst bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen ist man davon überzeugt, daß „der Einfluß der Freimaurer nach wie vor groß“ sei. Allerdings beeinflusse nicht die Institution Freimaurer selbst Politik und Wirtschaft, sondern dieser Einfluß nehme den Umweg über die „vielen“ Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die Logenbrüder seien. Welche Persönlichkeiten dies sind, ist jedoch nicht in Erfahrung zu bringen. Es sei denn, man will sich den Theorien der Rechtsradikalen anschließen, die fast jeden Staatsmann, gerne Liberale und Linke, der Logenzugehörigkeit verdächtigen.

Das Verhältnis der Geheimniskrämer zum Staat ist ambivalent geblieben. In der DDR etwa wurden die Logen, wen wundert's, aus Angst vor Agitation gegen den real existierenden Sozialismus verboten.

In Großbritannien wurden 1988 Freimaurer mit einer Skandalserie der britischen Polizei in Verbindung gebracht: Es ging um Bestechung, Vertuschung, Korruption. Die gesamte Polizei galt als freimaurerisch infiltriert. Der Innenminister wollte per Gesetz Justiz- und Polizeiangestellte dazu zwingen, sich zu outen. Dagegen wiederum wehrten sich die Freimaurer beharrlich – allen voran der Vetter der Königin und Großmeister der United Grand Lodge, der Herzog von Kent. Restlos aufgeklärt wurden die Korruptionsfälle nie. Seither gilt die Freimaurerei den Briten als „Mafia der Mittelmäßigen“. Der Vorfall nährte die Theorie von den trüben Machenschaften des Geheimbundes.

Nicht viel anders sieht es in Rußland aus. Ein Lieblingstopos russischer Nationalisten ist der von der jüdisch-freimaurerischen Konspiration. Willkommener Anlaß zur Auffrischung des Gerüchts war die Umbettung der Zarengebeine. Ende 1997 fragte die russisch-orthodoxe Kirche bei der zuständigen Kommission vorsichtshalber an, ob es sich bei der Ermordung der Zarenfamilie 1918 um einen jüdisch-freimaurerischen Ritualmord handelte.

In Österreich forderte die rechtsgerichtete FPÖ Ende 1997, sämtliche Spitzenpolitiker müßten ihre Logenmitgliedschaft offenlegen. Die Bürger hätten ein Recht darauf zu wissen, bei welchem Geheimbund oder Verein ein Politiker sei.

Es sind vor allem die Rechten bis Rechtsradikalen, die sich mit Vorliebe an den Freimaurern abarbeiten, gern vermengt mit einer guten Portion Antisemitismus. Was Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland elegant als „Einfluß“ formulieren, kursiert in nazistischen Kreisen unter dem altbekannten Schlagwort „Weltverschwörung“. Die Internetseiten des Thulenets versuchen glauben zu machen, daß Juden, Kommunisten und Freimaurer die Strippen rund um den Globus ziehen. Ob Aids oder der Tod Uwe Barschels und die Ermordung Jitzhak Rabins – die Finger im Spiel hat das internationale Freimaurertum.

„The New World Order“, eine neue Weltordnung, ist es, was rechte Verschwörungstheoretiker fürchten. Das zum Slogan passende Buch gleichen Namens schrieb 1991 der US-Amerikaner Pat Robertson, Fernsehprediger und Gründer der Religionsgemeinschaft „Christian Coalition“. Das Buch avancierte zum Bestseller. Doch nicht nur die religiöse Rechte der USA verbreitet die Theorie vom weltweit planvoll agierenden Freimaurertum.

Ebenso oder gerade auch in Deutschland haben Strippenziehergeschichten Konjunktur. Wie der Titel „Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert“ des neofaschistischen Autors Jan van Helsing, der 1993 erschien. Über hunderttausendmal verkaufte sich das braune Machwerk – ohne Werbung –, ehe es die Mannheimer Staatsanwaltschaft auf den Index setzte.

Gegen diese paranoiden Theorien allerdings verwahren sich die Kirchen, auch wenn sie von den Logenbrüdern nicht gerade begeistert sind. Was nämlich bei dem jahrhundertelangen Kampf der katholischen Kirche gegen die Maurerlogen mitschwingt, ist die Angst vor der Sekte, der Ersatzkirche, kurz: dem Konkurrenzunternehmen.

Und in der Tat leisten die Freimaurer diesem Verdacht Vorschub. „Wir halten es jedoch für unsere Pflicht, in unserer Zeit der Desorientierung und des Verlustes von geistigen Werten, auf eine Geisteshaltung hinzuweisen, von deren Richtigkeit wir zutiefst überzeugt sind. Früher hatten Menschen ein Ziel aber keinen Weg, heute werden alle möglichen Wege angeboten, aber kein Ziel“, heißt es auf der Homepage der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland. Und weiter verspricht der Text: „Wir haben Beides: den Weg und das Ziel.“

Dennoch: Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) und selbst der Sektenbericht der Bundesregierung halten die Freimaurer für harmlos. Das Gerede von der Sekte sei „vollkommener Unsinn“, sagt Hans-Jürgen Ruppert von der EZW.

Daß die wirre Theorie von der Freimaurerverschwörung immer noch durchs Internet geistert, zeigt zumindest eines: Die Angst vor Seilschaften und Geheimbünden sitzt tief. Tatsächlich aber scheint dies vor allem die allzu verständliche Angst zu sein, in der falschen Seilschaft zu sitzen. Und die Freimaurer mit ihrer Geheimnistuerei bieten da eine Projektionsfläche par excellence.

Konspirative Denkfiguren machen das Leben leichter, sie schreiben Verantwortung eindeutig zu, lassen Vorgänge schicksalhaft erscheinen und überhaupt: Das Gute an Verschwörungstheorien ist, sie lassen sich nicht beweisen – und damit auch nicht widerlegen.

Volker Weidermann, 28 Jahre, Germanist, schreibt seit vier Jahren als freier Autor für die taz, vor allem für die Kultur.

Christian Schulz, 37 Jahre, ist Mitbegründer und freier Fotograf der Agentur Paparazzi. Seine Schwerpunkte: Reportagen, Portraits.

Uta Andresen, 28 Jahre, studierte in München Kommunikationswissenschaften. Seit April arbeitet sie als Redakteurin im taz mag.