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Vieldeutig eindeutig: Dinge und Denkmäler

■ Detlef Hoffmann spricht heute über die Spurensuche in ehemaligen Konzentrationslagern

Rampen, Zäune und Krematorien von Konzentrationslagern sind Ikonen der Vernichtung. Die Relikte der Orte symbolisieren zugleich deren Geschichte. Umstritten ist, wie man sich heute an die deutschen Verbrechen erinnern soll. Oft drehen sich die Konflikte um materielle Träger der Erinnerung: Dinge und Denkmäler. Ein komplexes Thema, dem sich der Kunsthistoriker Detlef Hoffmann in dem Vortrag „Das Gedächtnis der Dinge“ während der Sommerakademie widmet: das Verhältnis von Relikten und Denkmälern in ehemaligen Konzentrationslagern. Nicht nur der Mensch, auch Gegenstände besitzen laut Hoffmann einen Speicher von Erinnerungen. So wie Erlebnisse ihre Spuren im Gehirn hinterlassen, prägen sich Ereignisse den materiellen Zeugnissen ein.

Wer heute ein ehemaliges Konzentrationsalager besucht, versteht, was gemeint ist. In den letzten 50 Jahren haben sich viele Lager stark verändert: Teilweise verwittert und überwuchert, von Spuren bereinigt und mit Denkmäler überformt, sind sie keine authentischen Orte mehr. Gleichwohl verheißen sie Nähe zum Geschehen. „Die Spuren bedürfen der Deutung, die Denkmale sind Deutung.“ Gegen die Eindeutigkeit der Denkmäler haben die mehrdimensionalen Überreste einen schweren Stand. Denn das Gedächtnis der Dinge ordnet nicht.

Darauf richtet sich Hoffmanns Blick: Auf die Menschen, die mit den Dingen umgingen, aber auch auf die Vor- und Nachgeschichte der Lager. Hoffmann nähert sich Baracke und Lager über ihre Architektur: Das, was seit 1933 Konzentrationslager heißt, zeigt den fließenden Übergang von einem Ort schikanöser Unterbringung bis hin zur Mordfabrik. Zu den Kriegsgefangenenlagern schreibt er: „Was der Humanisierung des Krieges dienen sollte und diente, muß nach Auschwitz als eine Entwicklung der Mittel für den industrialisierten Massenmord beschrieben werden: die Dialektik der Moderne.“ Im Gedächtnis der Dinge stehen Denkmal und Relikt für ein andauerndes Spannungsverhältnis. Auch das Berliner Holocaust-Mahnmal stellt die Grundsatzfrage: Ist ein Denkmal heute noch die angemessene Gestaltung, um den industrialisierten Massenmord zu vergegenwärtigen?

Thomas Schulze

D. Hoffmann (Hg.): „Das Gedächtnis der Dinge. KZ-Relikte und KZ-Denkmäler 1945 – 1995.“ Campus, Frankfurt/NY 1998. 351 S., 98 Mark

Lesung: 19 Uhr, Esplanade 15

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