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Scientology-Vorwürfe nicht haltbar

■ Berlins Verfassungsschutz mußte widerrufen, daß hoher Polizeibeamter Scientologe ist. Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) gerät unter Druck

Berlin (taz) – Das anonyme Schreiben, das am 20. März im Vorzimmer des Berliner Polizeipräsidenten Hagen Saberschinsky einging, löste ungeheure Hektik aus. Der Leiter des polizeilichen Lagezentrums sei ein führender Berliner Scientologe, lautete die höchst brisante Anschuldigung. Der 53jährige Polizeibeamte Otto Dreksler gehöre seit fünf Jahren der umstrittenen Psychosekte an und zähle seit drei Jahren zu deren Berliner Führungskader.

Es hätte sich um den bundesweit schwerwiegendsten Fall einer Unterwanderung durch Scientologen gehandelt. Unter Hochdruck wurden Ermittlungen eingeleitet. Dreksler selbst beschwor von Anfang an, nichts mit Scientology zu tun zu haben – „beim Leben meines Sohnes“. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung drängte er trotz später Stunde darauf, daß gründlich nachgeforscht werde. Doch auch in seinem Computer fand sich nichts Inkriminierendes.

Das CDU-Mitglied, das seit 1995 im Villenviertel Berlin-Zehlendorf dem Bezirksparlament angehört, hat nicht nur Freunde in der Polizei. Mit seiner zuweilen schroffen Art hat sich Dreksler unbeliebt gemacht, aber auch mit der Befürwortung der Polizeireform. Künftig sollen die stressigen 12-Stunden-Schichten abgeschafft werden, die den Polizeibeamten aber auch großzügigen Freizeitausgleich verschafften. Der anonyme Brief könnte eine Intrige gegen den Polizeidirektor gewesen sein.

In der Rekordzeit von acht Tagen kam das Landesamt für Verfassungsschutz zu dem Ergebnis, daß Dreksler Mitglied von Scientology sei. Aufgrund des Behördenzeugnisses des Verfassungsschutzes wurde Dreksler am 7.April von seinen Aufgaben entbunden. Vier Monate lang schob er Dienst in der Funkzentrale. Auch seine Lehrtätigkeit an der Polizeifachhochschule mußte er einstellen.

Doch dann kamen Zweifel an der Beweislage auf. Der V-Mann, der Dreksler als Scientolgy-Mitglied identifiziert hatte, hatte auch einen prominenten Berliner Verwaltungsrichter der Zugehörigkeit zu dem Psychokonzern beschuldigt. Bei Nachfragen war er sich plötzlich nicht mehr sicher, den Richter auf Fotos erkannt zu haben. Nun kamen auch Zweifel an der Identifikation Drekslers auf. Der Innensenator forderte „ein zweites Standbein“. Der für den Verfassungsschutz zuständige Innenstaatsekretär Kuno Böse bewilligte Sondermittel für Recherchen und stimmte der Observation des Polizeidirektors zu. 5.000 Mark boten zwei Verfassungsschutzagenten einem frisch kontaktierten Mitarbeiter von Scientology für die Beschaffung einer Mitgliederliste. Der Student nahm das Geld an, doch anstatt die Liste zu liefern, offenbarte er sich seinem Arbeitgeber.

Mangels Beweisen mußte die Innenverwaltung in der vergangenen Woche den Rückzug antreten. Der Vorwurf einer Mitgliedschaft bei Scientology habe sich nicht bestätigt. Otto Dreksler wurde am vergangenen Mittwoch öffentlich rehabilitiert und wieder in sein Amt als Leiter des Lagezentrums eingesetzt.

„Die Sachlage hat es nie hergegeben, daß der Polizeidirektor Mitglied bei Scientolgy ist“, bestätigt auch die bündnisgrüne Abgeordnete Renate Künast, die als Mitglied des parlamentarischen Verfassungsschutzausschusses für die Kontrolle des Geheimdienstes zuständig ist. Sie wirft den Verfassungsschützern eine Reihe schwerer handwerklicher Fehler vor. „Ich habe begründeten Anlaß, davon auszugehen, daß bei der Auswahl der Informanten Fehler gemacht wurden“, erklärte sie nach der Einsicht der Geheimdienstakten, ohne nähere Einzelheiten zu nennen.

Der Verfassungsschutz hat offenbar seine eigenen Kriterien für die Rekrutierung von V-Männern nicht eingehalten. Auch bei der – vermeintlichen – Identifizierung Drekslers habe der Verfassungsschutz methodische Fehler gemacht. Künast kritisierte zudem, daß Lebensverhältnisse und Verhaltensweisen des Polizeibeamten so gedeutet worden seien, daß dies die These der Scientology-Zugehörigkeit stützte. Außerdem verfüge das Landesamt für Verfassungsschutz offenbar über keine Richtlinien, welche Anforderungen an eine Beweislage gestellt werden müßten, wenn eine Stellungnahme des Amtes nach außen gegeben werde.

Eine Entschuldigung gegenüber Otto Dreksler, wie sie Polizeikollegen von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) fordern, ist bislang ausgeblieben. Schönbohm schiebt die Verantwortung für die gravierendste Panne des Verfassungsschutzes, die in den letzten zehn Jahren bekannt wurde, auf die Behörde ab. Den Verfassungsschützern hat er einen Maulkorb verhängt. Falls Innensenator Schönbohm die Affäre vor dem Verfassungsschutzausschuß nicht hinreichend aufklärt, erwägen die Bündnisgrünen, einen Untersuchungsausschuß zu beantragen. Dorothee Winden

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