: Alle liegen voll im Trend
Im Wahlkampf präsentieren sich die großen Parteien wie im Kinderzoo. Wer über Inhalte redet, wird einfach abgemeiert ■ Aus Bonn Bettina Gaus
Einfach tierisch, der Wahlkampf. Die CDU plakatiert einen Elefanten mit der Aufforderung „Keep Kohl“. Die Grünen lassen den Dickhäuter auf ihren Werbeflächen im See versinken. Die SPD zeigt einen bunten Dinosaurier und erinnert: „Schon Größere mußten gehen, wenn sich die äußeren Umstände geändert hatten, Herr Kohl.“
CDU-Generalsekretär Peter Hintze gibt sich neckisch und versendet eine einzeilige Pressemitteilung: „Der Kohlifant, der Kohlifant, der bleibt das größte Tier im Land!“ Der spaßigste Spruch ist der FDP in Hamburg gelungen: „Mehr Netto für alle.“ Die Liberalen haben bei diesem Plakat auf zoologischen Beistand verzichtet. Dabei hätte sich ein Vogel eigentlich gut gemacht.
Bei soviel geballtem Humor wird gelegentlich fast übersehen, wie sehr auch dieser Wahlkampf von Empörung und öffentlichem Streit geprägt ist. Bei den Kleinen richtet sich der Unmut vor allem nach innen. Spitzenkräfte von Bündnis 90/Die Grünen ärgern sich, wenn wieder einmal jemand aus den hinteren Reihen in einem Interview bestätigt, daß die Partei an ihrem eigenen Wahlprogramm festhalten will. Die FDP-Spitze streitet über Personenwerbung: „So nicht, Herr Kollege!“ soll Klaus Kinkel den Generalsekretär Guido Westerwelle angeblafft haben. Dem Außenminister gefällt es gar nicht, daß der im Wahlkampf deutlich stärker im Vordergrund steht als er selbst. Wo Kinkel Umfragen zufolge doch so populär ist.
Die SPD kämpft unterdessen gegen Verbündete. Das kenne man doch, raunzte Kanzlerkandidat Gerhard Schröder. „Frau Engelen-Kefer kritisiert alles und jeden, nur nicht sich selbst.“ Die stellvertretende DGB-Vorsitzende war mit sozialpolitischen Äußerungen von Schröders Kandidaten für das Amt des Wirtschaftsministers Jost Stollmann nicht einverstanden gewesen. Derartige Unbotmäßigkeit verlangt nach männlich-markig vorgebrachtem Tadel. Den hätte Schröder allerdings auch knapper formulieren können: Kusch!
Verbittert äußern sich in diesen Tagen Politiker der Union. Sie bleiben dabei alter Wahlkampftradition treu und richten ihren Zorn auf den politischen Hauptgegner, die SPD. „Geistigen Diebstahl“, wirft CSU-Chef Theo Waigel den Sozialdemokraten vor. Der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble wittert gar ein „großangelegtes Betrugsmanöver.“ Stein des Anstoßes ist die Tatsache, daß sich das SPD-Konzept zur Inneren Sicherheit kaum noch von dem der Konservativen unterscheidet. Da sage noch einer, Politiker freuten sich, wenn ihre Überzeugungsarbeit Wirkung zeigt.
Dabei sind immer noch nicht alle überzeugt. Beobachtern bereitet das gelegentlich Sorge. Gerade hatte sich die bündnisgrüne Fraktionschefin Kerstin Müller scharf von den Konzepten der Volksparteien zur Inneren Sicherheit distanziert, da meldete sich eine Journalistin zu Wort: Ob Frau Müller denn nicht befürchte, mit ihren Ausführungen „mal wieder nicht im Trend“ zu liegen? Die Angesprochene reagierte verblüfft: Es könne ja nun nicht Aufgabe von Politikern sein, im Trend zu liegen.
Kein Wunder, daß die Grünen vor der Fünfprozenthürde Angst haben müssen, wenn deren Fraktionschefin ihre Aufgabe noch nicht verstanden hat. Dabei hätte sie als Handlungsanweisung nur zum Spiegel greifen müssen: „Jeder muß auf Wählergruppen Rücksicht nehmen, die er nicht verärgern darf“, faßte das Nachrichtenmagazin kürzlich zusammen, worum es in den nächsten Wochen geht. Ringen um die Wählergunst mit eigenen Vorschlägen oder gar umfassenden gesellschaftspolitischen Konzepten scheint demgegenüber weniger erfolgsversprechend. Gefragt ist Klientelpolitik. Parteiübergreifend.
Zugegeben: Es ist nicht so leicht, wie es aussieht, niemanden zu verärgern. Jeder einzelne Wähler und jede einzelne Wählerin sind eine komplexe Summe verschiedener Interessen. Sie zahlen Steuern oder nicht, besitzen Aktien oder nicht, fahren Auto oder nicht, haben Arbeit oder nicht, haben Kinder oder nicht, sind Verbrecher oder deren Opfer oder keins von beiden. Die Parteizentralen stehen vor einer fast unlösbaren arithmetischen Aufgabe. Wen wählt jemand, der mit einer Besteuerung von Aktiengewinnen 100 Mark im Jahr einbüßt, durch eine Senkung der Lohnnebenkosten 120 Mark gewinnt, den eine Erhöhung der Benzinpreise 140 Mark kostet, der aber demnächst sein Auto abschaffen will? Den dynamischeren Kandidaten. Gerhard Schröder hat den „optischen“ Unterschied als eines der wesentlichen Merkmale bezeichnet, die ihn von Helmut Kohl unterscheiden.
„Wenn wir die Konflikte schon nicht lösen können, müssen wir wenigstens den kritischen Blick entschärfen, der aus Konflikten Herausforderungen macht“, hat Jürgen Habermas kürzlich als offenkundiges Ziel einer ständig wachsenden Zahl von Politikern analysiert. Damit kommen die Volksvertreter gut voran.
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