: Schwirrende Plagegeister
An Mülltonnen, auf der Pizza oder in der Cola-Dose – mit den Sonnenstrahlen kommen auch die Wespen. Viel früher als in anderen Jahren verbreiten die wehrhaften Hautflügler Angst und Panik. Gefahr droht vor allem für Insektengiftallergiker. Für sie kann der Stich einer Wespe oder Biene fatale Folgen haben ■ Von Wolfgang Löhr
Mit der Sonne kommen die Wespen. Die Szene ist derzeit täglich zu beobachten: Wild um sich fuchtelnd, versucht der Gast im Restaurant, die um seinen Kopf schwirrenden Wespen abzuwehren. Früher als in anderen Jahren belagern die gefürchteten „Hautflügler“ derzeit auch schon Mülltonnen, Getränkedosen oder die Pizza auf dem Tisch. „Die Saison ist diesmal vier Wochen weiter als üblich“, berichtet Burkhard Schricker, Professor am Zoologischen Institut der Freien Universität Berlin. Nach den „kühlen Temperaturen und der großen Feuchtigkeit in den vergangenen Wochen sind mit den ersten Sonnenstrahlen“, sagt Schricker, „auch die ausgehungerten Wespen, Bienen und Hummeln hervorgekommen“.
Da auch die spätblühenden Pflanzen und Bäume in diesem Jahr schon sehr weit in ihrer Entwicklung sind, haben „Hummeln und Wespen nur noch wenig Zeit, sich einen Wintervorrat anzuschaffen“, erklärt Schricker. Im Gegensatz zu den Bienen überleben bei den Hummeln und Wespen nur die begatteten Königinnen in einem geschützten Versteck. Sie werden im nächsten Frühjahr ihre Eier ablegen und einen neuen Staat gründen.
Wespen – dazu gehören auch Hornissen – ernähren sich im Frühjahr und während des Sommers vor allem von anderen Insekten. Erst im Spätsommer wechseln sie ihren Speiseplan und knabbern an Obst und Süßigkeiten.
Gefährlich sind Wespen und Bienen vor allem für Insektengiftallergiker. Normalerweise bildet sich rund um die Einstichstelle eine juckende und schmerzhafte rote Schwellung. Nach Stunden oder Tagen ist in der Regel nichts mehr zu spüren. Ganz anders die Reaktion bei einem Allergiker. Die Allergie entwickelt sich immer erst nach dem ersten Stich, nachdem das Immunsystem sensibilisiert wurde. Jeder weitere Stich kann dann lebensbedrohlich werden. Das Immunsystem reagiert über und schüttet verschiedene biologisch aktive Substanzen aus, so Histamine und Antikörper, die den ganzen Körperhaushalt durcheinanderbringen. Im schlimmsten Fall kann es zu einem sogenannten anaphylaktischen Schock mit rapide abfallendem Blutdruck, Ohnmacht und Kollaps kommen. Ohne medizinische Behandlung tödlich. „Etwa drei Prozent der Bevölkerung sind Insektengiftallergiker“, berichtet Roland Domann vom Beratungsteam des Deutschen Allergie- und Asthmabundes in Mönchengladbach, „jährlich sterben in Deutschland etwa vierzig Menschen durch einen von Insekten ausgelösten anaphylaktischen Schock.“ Domann rät Allergikern, unbedingt ein Notfallset, vor allem Adrenalin als Gegenmittel, mit sich zu führen.
Weitaus weniger gefährlich ist eine andere Gruppe von Insekten, die aber einen Aufenthalt im Freien durchaus zu einer unerträglichen Tortur machen kann: die Stechmücken. Wer hat nicht schon einmal nach Einbruch der Dunkelheit fluchtartig einen Biergarten oder das Ufer eines Gewässers verlassen, nur weil die Angriffe der blutsaugenden Plagegeister unerträglich geworden sind. Meist merkt man erst, daß man gestochen wurde, wenn es zu spät ist. Nach Stunden erst fängt die winzige Stichwunde an zu jucken. Individuell sehr unterschiedlich ist die Reaktion des Körpers. Bei manchen Mückenopfern schwillt die gestochene Körperregion aufgrund einer Unverträglichkeit stark an. Andere wiederum werden bis zu vier Wochen von den entzündeten Stichwunden geplagt.
Vermehrungszeit für die 46 in Deutschland vorkommenden Mückenarten ist die Zeit von Frühjahr bis Herbst. Blutsauger sind nur die Weibchen, die auch in Wohnungen oder Stallungen überwintern. Den Männchen fehlen die Stechborsten, sie können kein Blut aufnehmen. Die verschiedenen Arten haben unterschiedliche Biotope erobert. Die bei uns sehr häufig vorkommenden, als Hausmücken bezeichneten Culex- und Culiseta-Arten verstecken sich tagsüber im Haus, ihre Beute suchen sie nachts. Allen gemeinsam ist jedoch, daß die Entwicklung der Larven stets im Wasser erfolgt. Nach Blutmahlzeiten legen die Weibchen alle zwei bis drei Tage bis zu 300 Eier auf die Oberfläche von stehenden und verschmutzten Gewässern ab. Das können auch Regentonnen, Dachrinnen oder Tümpel sein. Nach zwei Wochen können dann unzählige Larven, von unten an der Wasseroberfläche hängend, beobachtet werden. Die Larven verpuppen sich zu einem Kokon, aus dem nach einer Verwandlung die erwachsenen Tiere schlüpfen. Ausgelöst durch eine plötzliche Temperaturerhöhung, kann es zum gleichzeitigen Schlüpfen der Plagegeister kommen, die dann fast überfallartig in Massen auftreten.
„Im Unterschied zu den tropischen Gebieten“, sagt Edgar Muschketat vom Robert-Koch-Institut in Berlin, „spielen Mücken oder Wespen und Bienen bei uns keine große Rolle bei der Übertragung von Krankheitserregern.“ Sie könnten zwar Keime mitschleppen und Wunden infizieren, aber Erreger, die im menschlichen Blut leben, würden nicht übertragen. Das gelte auch für Hepatitis-Viren und das Aidsvirus, sagt Muschketat.
Eine neue Beobachtung ist, daß Mückenstiche auch die gefürchteten allergischen Reaktionen auslösen können, sehr selten zwar und auch in einer weitaus milder verlaufenden Form als bei Wespenstichen. Bisher haben sich weltweit nur wenige Mediziner mit diesem neuen Phänomen beschäftigt. Ist das Auftreten dieses Krankheitsbildes auf verbesserte Untersuchungsmethoden zurückzuführen, eine veränderte Zusammensetzung des Insektengiftes oder auf eine veränderte Immunantwort des Menschen? Über die tatsächlichen Ursachen wird noch spekuliert.
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