: „Die Dinge kann man nicht aufhalten“
■ Was wird aus dem Getreidespeicher in Gröpelingen? In einem Jahr verläßt die Bremer Lagerhaus Gesellschaft das Gelände, dann fällt das Industriedenkmal nahe dem künftigen Space Park zurück an die Stadt. Noch aber wird an der Pier A kräftig gearbeitet
Ein weitmaschiges Netz von Spinnengewebe zieht sich quer über die gewaltigen Schlösser, die Scharniere der Stahltore im Silo I. Feiner gelber Staub liegt zentimeterdick auf den Gleisanlagen zwischen den oktogonalen Säulen des Speichers in den einst täglich die Züge einfuhren. Die ziselierten Spuren halbverborgener Würmer, gierig hüpfender Sperlinge und grober Gummisohlen erzählen von einem Leben, das immer schon gerade Vergangenheit geworden ist. Nebenan, über der LKW-Waage, blinken hinter stumpfen Fensterscheiben ein paar rotgrüngelbe Lämpchen ins Leere.
Spuren
9.30 Uhr. „Feierabend“, sagt der Blau-Mann und lehnt seine Schaufel neben die Klotür. Ein paar Monate noch und alles ist vorbei. Bremens Lagerhaus Gesellschaft, die BLG, trennt sich 1999 von ihrem Getreidespeicher in Gröpelingen und gibt ihn zurück an die Stadt. Drei Handvoll Menschen werden gehen, Würmer und Spatzen werden noch ein paar Jahre zu futtern haben, und ein gewaltiger Gebäudekomplex vis à vis des künftigen Space Parks bleibt zurück – gestern wurde er von der Grünen Fraktion besucht.
Die fragen jetzt: „Was soll daraus werden?“ und fordern „Der mächtige Klinkerbau und die neueren Silos“ müssen erhalten bleiben: Als Industriedenkmal, vielleicht mit Panorama-Restaurant ganz oben und „tollem Blick über die Hafenreviere“. Noch aber ist für ein paar Monate die Vergangenheit Gegenwart.
Und man darf sich nicht täuschen: Der Staub auf dem Boden des alten Silos hat Nährwert. Der kommt aus den oberen Etagen des zig Meter hohen Speichers, wo ein regelmäßiges Brummen vom Leben der Förderbänder berichtet. Die ziehen vorüber und und geben auf ihrem Weg zum Silo III etwas von ihrer Ladung in die gesättigte Luft des alten Gebäudes: Mehlstaub. Futtermittel für Schweine, für Hühner, für Würmer.
Getreide
Vorbei ist die Zeit, daß Getreide hochsubventioniert war. Vorbei auch die Zeit deutscher Vorratswirtschaft, da in den Silos die stille Reserve für zwei magere Jahre lagerte. Vorbei die Zeit, als Getreide als Wert galt, den man nicht an die Ferkel verfüttert. Das Futter, das kam aus Übersee. In den Frachtern bis zu 275 Metern Länge lag es an der Pier A vor Bremens Getreidespeicher: indonesisches Kokosschrot, brasilianisches Soja, us-amerikanische Citrus Pellets. Auf LKW, Bahn, Binnenschiffen ging es weiter in die europäischen Mastgebiete. Doch die Politik hat sich gewandelt, europäisiert. Das Getreide gehorcht in Deutschland kaum noch den Subventions-, eher den Markt- und Börsenmechanismen. Selbsterzeugtes Getreide für selbsterzeugtes Vieh ist die europäische Devise.
Bis zu achtzig Prozent des Viehfutters besteht heute aus Getreide. Vor zehn Jahren war es nicht einmal die Hälfte. Und der Futtermittelimport geht zurück. 1985 lagen die jährlichen Umschlagszahlen an der Weser noch bei fast drei Millionen Tonnen. Heute sind es anderthalb. Gut ein Drittel ging im letzten Jahr noch über die Verladerampen in Gröpelingen. Höher werden die Zahlen in diesem Jahr bestimmt nicht liegen. Zu viel Regen. Zu wenig Sonnentage zum Einfahren der Ernte.
Da ist es nicht gut, das halbfeuchte Getreide lange zu lagern, auf den Export in die Überschwemmungsgebiete nach China zu hoffen. Besser man verfüttert es gleich.
Menschen
In der Steuerzentrale steht einer vor fünf bis zehn Metern strenger Wandmalerei, die mit Lämpchen, Knöpfen und Schaltern bestückt, die große Welt des Getreidespeichers im Kleinen abbildet: Kräne, Kratzer, Elevatoren, vor allem aber Silos und Förderbänder. Detlev Pobanz heißt er, ist 27 Jahre alt, erst Kfz-Mechaniker, heute Hafenfacharbeiter. Ein Mann mit Volumen, der gerne lacht und mit lauter Stimme ein paar Worte durchs Telefon gibt: „Das Band geht vor.“ Klar, das Förderband muß laufen. Also macht sich jetzt ein anderer der 25 Menschen, die hier noch arbeiten, auf den Weg, um aus dem Kokosmehl die Bindfäden, indonesische Latschen, Autoreifen herauszufischen, die das Band verstopften. Denn wegen ein paar Bindfäden kann doch die blaue Gestalt, die tief unten im Bauch des türkischen Frachters Hatime Ana das sandfarbene Mehl ins Gedärme der Sauganlage kratzt, seinen Schaufelbagger nicht jedes Mal anhalten. Bewegungslos sitzt der in seinem Führerhäuschen und dreht sich immer im Kreis, im Kreis, im Kreis und sieht nur die vier Wände im Bauch der Hatime Ana an sich vorüberziehen.
Auch er: einer von 25 Übriggebliebenen – genau wie „Klein Heini“ (so steht es an seinem orangenen Helm: Den nimmt Klein Heini nicht vom Kopf, wenn er in der Steuerzentrale zusammengekauert den Plastikkaffee zwischen zwei Fingern dreht). Und genau wie der Vorarbeiter Zuber, der am Kai entgegenkommt und als einziger richtig zu schimpfen weiß über das Unrecht des Abgangs: Quatsch! nicht nur 25, glatte 60 Menschen seien hier oft beschäftigt. Die kämen für einzweidrei Tage von woanders, um beim Entladen zu helfen. Denn, oh ja, es gäb' noch genug zu tun. Das müßte mal öffentlich gemacht werden.
Eine von 60 MitarbeiterInnen also wäre auch Ingrid Klepac, die rund um die Steuerzentrale alles schön sauber macht – was für 'ne Sysiphos-Arbeit bei all dem Staub!
Einen Stock höher mit Blick auf die Parkplätze der Angestellten, das Festland, auf Gleisanlagen und Autos, blinken nur die Bildschirmschoner bunt. Betriebsleiter Herbst und Herr Schrör vom Vertrieb sitzen da und strahlen Gelassenheit aus. In der ganzen Welt waren sie unterwegs, sahen die Börse in Chicago und die Docklands in London; ja, das Herz hänge nach vierzig Dienstjahren an dem Getreidespeicher, sagt Werner Schrör, aber „die Dinge kommen. Die kann man nicht aufhalten.“ Lange Jahre war Rüdiger Herbst auf hoher See, und als die ersten Container aufs Schiff kamen, einer vorn, einer hinten, da sagte sein Käpt'n: Auch dieser neumodische Kram gehe vorüber. Ging er nicht, und Betriebsleiter Herbst findet das gut, daß sein Arbeitgeber, die BLG, sich jetzt „auf seine ureigensten Dinge konzentriert“: die Container, die Autoverschiffung. Nicht in Gröpelingen, sondern in Bremerhaven.
Der Speicher
1914 - 1916 wurde der erste Speicher gebaut – er soll noch heute die größte gemauerte Klinkerwand Europas zeigen. Ein wunderschönes Gebäude, das man sich angucken muß: Noch ganz die Baumaterialien des 19. Jahrhunderts, aber der Stil, oben mit dem flachen Aufbau auf fragilen Beinen, das ähnelt schon fast einer Corbusiersche Wohnmaschine. 1972 wurde der letzte Speicher gebaut, der Silo III mit 24 Großzellen und je 1.500 Tonnen Fassungsvermögen: ein helles Gebäude, im Zentrum drei Silo-Säulen, trutzig wie die Getreidespeicher in den kanadischen Ebenen von Saskatchewan. Quer durch diese beiden imposanten Zeugnissen von sechzig Jahren Industriebau ziehen sich Rohre und Wellblech für über 4 Kilometer Förderbandstraßen hin zur Pier, zum pneumatischen Saugheber. „Damals“, sagt Rüdiger Herbst, „war diese Speicheranlage in Europa einmalig.“ Heute ist sie nicht mehr auf dem neuesten Stand.
Die in Brake ist viel moderner. Dahin wechselt die BLG. Der Getreidespeicher in Gröpelingen hingegen geht zurück an die Stadt. Mit ungewisser Zukunft. „Wenn das Moderne kommt – mit dem Space Park“, sagt Werner Schrör, „dann muß man auch den Mut haben, das Ding hier flach zu machen.“ Denn sowas könne man doch nicht zum Hotel umbauen: „Im Silo hochkant schlafen, das ist schlecht.“
Fritz v. Klinggräff
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