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Die ewige Wiederkehr der Ferienstaus

Das Neue als Wiederholung und die Dominanz der Form über den Inhalt: Julian Rosefeldt & Piero Steinle dekonstruieren die Wirklichkeit der Nachrichten. Eine Ausstellung über alltägliche Bildklischees in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen  ■ Von Esther Ruelfs

Jeder weiß, daß täglich etliche Minuten Nachrichten gesendet werden, und jeder übersieht, daß es immer dieselben sind. Obwohl Sendeformate wie die „Tagesschau“ oder die „Aktuelle Kamera“ schon mit ihrem Namen dafür einstehen, daß sie täglich Aktuelles zeigen, ist ihr eigentliches Grundgesetz die Wiederholung. Die beiden jungen Münchener Künstler Julian Rosefeldt & Piero Steinle machen das Altvertraute der News zum Thema ihrer monumentalen Videoinstallation in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.

An den beiden Stirnwänden der langgestreckten, fast 50 Meter messenden Ausstellungshalle treten uns aus dem Dunkel der Halle überlebensgroß Karl-Heinz Köpcke und Hans-Dieter Lange als prominente Sprecher der West- und Ostnachrichten entgegen. Die überdimensionalen Fernsehbilder auf zwei kinogroßen Leinwänden überwältigen den Betrachter; zwischen ihnen bauen zwölf in der Dunkelheit der Halle verborgene Lautsprecher einen Klangkorridor auf. Ein- bis zwölfstimmig, parallel zum Bild oder auch versetzt, sprechen die Nachrichtenhelden von Berghof bis Wickert immer wieder dieselben Sätze: „Nichts ging mehr. Vielerorts ging nichts mehr. Doch vielerorts ging nichts mehr. Auf einer Länge von 100 Kilometern ging nichts mehr. Auf vielen Strecken ging gar nichts mehr. Rien ne va plus.“ In den ersten Sekunden gerät man fast unwiderstehlich ins Taumeln.

Die Fernsehbilder von endlosen Ferienstaus, in brütender Hitze oder Schneetreiben, sind dem kollektiven Bildgedächnis sofort verfügbar. Es sind jene Bilder, die zyklisch immer wieder in den Nachrichten auftauchen: Lottozahlen, Hitzewellen, Schnäppchenjäger, Wetternachrichten, Naturkatastrophen. Was immer passiert, wird im vertrauten Format präsentiert. Was die beiden Künstler hier freilegen, ist die Dominanz der Form über ihre wechselnden Inhalte.

Die typologischen Sequenzen und formalen Reihungen der Installation zeigen, daß die News seit 40 Jahren in Ost und West dieselben sind, auch wenn Kleidung und Frisuren der Nachrichtensprecher oder deren Arrangement vor einem modischen Farbhintergrund wechseln mögen. Immer wieder fährt die Kamera von rechts oben nach links unten über Parlamentsreihen, immer wieder ist es dieselbe Handgeste des Nachrichtensprechers, der Seite für Seite umblättert und beiseite legt. Wer dem lange genug zuschaut, sieht irgendwann nur noch Flächen und Farben. Denn die Zusammenstellung der Nachrichten zu Sequenzen läßt nicht nur die Konstruktionsprinzipien der News sichtbar werden, sondern ermöglicht dank der Abstraktion vom Inhalt auch ihre ästhetische Wahrnehmung. Die Wiederholung des immer Gleichen, die als Grundprinzip der Nachrichten fungiert, wird so zum künstlerischen Mittel.

Folgt man Steinles Katalogbeitrag, dann bestehen rund 90 Prozent des gesendeten Materials aus ständig wiederholten Bildklischees. So sehen wir bei jedem Parlamentsbeschluß, bei jedem Politikerbesuch, bei jedem Vertragsabschluß die vertrauten Fernsehaufnahmen. Kamerafahrten über die gefüllten Sitzreihen des Parlaments, Schwenks über Konferenztische, aus schwarzen Limousinen steigende oder Flugtreppen hinabsteigende Politiker, Vertragspapiere, die unterzeichnet werden. Was sich ändert, sind lediglich die Namen der Politiker, die wie Statisten in immer dieselben Formate eingesetzt werden. Man ahnt, wie schwer es sein wird, hier aufzufallen.

Mit der Entschleierung der Nachrichten als inszenierter Bilderwelt zielen Steinle und Rosefeldt weniger auf Manipulation der Meinungen durch die Medien als auf das Primat der Form, die das Fernsehen jeder Nachricht setzt: „The medium is the message“. Die Dekonstruktion der Nachrichten, die Zerlegung in ihre Einzelteile und ihre Sortierung nach Sequenzen, präpariert die Repetition als ihre Grundstruktur heraus. Das Wesen der News ist die Redundanz.

In einem Interview der beiden Künstler mit Paul Virilio sagt dieser: „Ich glaube, genau das ist es, was man zeigen sollte: den Blick hinter die Kulissen des Bildes, den Blick auf den Ort seiner Herstellung, wo man die Präsentation des öffentlichen Platzes, der das öffentliche Bild geworden ist, konstruiert. Es gibt keine Objektivität im Fernsehen. Keine! Alles wird verfälscht von A bis Z.“

Doch glauben wir dem Fernsehen schon längst nicht mehr alles, was es zeigt. Steinle und Rosenfeldt wissen, daß wir das wissen. Sie warnen nicht plakativ vor der Manipulation, sondern sezieren die Mechanismen der Medienwelt und formulieren einen medienkritischen Standpunkt nur insofern, als sie gelassen sichtbar machen, wie Ereignisse zu News werden. Virilios Warnung vor dem Fernsehn als „Ort der Macht“, vor dem sich der Betrachter schützen müsse, wirkt dagegen fast anachronistisch. Die gut durchdachte Arbeit News liefert eine kluge Medienkritik, die sich jedoch weniger als ästhetisches Erlebnis denn intellektuell vermittelt. Die Suggestivität der sinnlichen Installation „Detonation Deutschland“ die Rosefeldt & Steinle in der Ausstellung Deep storage zeigten, vermag sie nicht zu erreichen. Das mag am Thema liegen. Esther Ruelfs

Noch bis zum 12. August ist die Ausstellung in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf zu sehen. Ein empfehlenswerter Katalog ist im Kehrer Verlag erschienen und kostet 35 DM.

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