■ Nachschlag
: Absolut gewichtig: „Des Abends große Fläche“ im Theaterdock

Was für ein schöner Einstieg: ein Körper, ausgebreitet über einer Styroporkugel, nein: über einem Schneeball. Ein lachender Körperball. Er liegt da, während die Zuschauer sich ihren Platz suchen, das Getuschel verstummt und das Licht verlischt. Noch stundenlang könnten wir dieses Bild anschauen: ein Körper, der im streng geometrischen Bühnenbild Mirko Frohmanns seinen Ball umschließt. Aber ach, schon nach Minuten richtet er sich auf, ist nicht mehr nur Körper, sondern Elena Brückner, spricht ins Publikum: „Wo bin ich?“ Und die Stele hinter ihr ist keine Stele, sie dreht sich um und ist Roland Wandel, ein Latex-Fantomas: „Bei, äh, mir.“

Absurdes Theater, wieder mal: Anja Mayer hat Jean Tardieus „La Sonate et les trois Messieurs ou Comment parler musique“ und Aleksandr Vedenskijs „Eine gewisse Anzahl Gespräche“ eingedampft zu einer absurden Collage, „Des Abends große Fläche“, angereichert mit linguistischen Exkursen, mit Mathematik und Theatertheorie.

Da mag das Presseinfo noch so sehr von einer „zusammengebastelten“ Inszenierung sprechen und damit Unbeschwertheit in der Textarbeit vorspielen: Mayer nimmt ihre Vorlagen ernst und läßt die Darsteller derweil an der absurden Logik verzweifeln. Nicole Gospodarek bleibt da nur noch, ein „Ich liebe das Kartenspiel“ in den Raum zu gurren, bis auch die letzte Reihe verstanden hat: Das Spiel ist ein Aphrodisiakum, nicht mehr spielerisch, sondern absolut gewichtig. Beim Erotik-Kitsch wird das Scheitern des ambitionierten Projekts am augenfälligsten.

Mayer scheitert, aber wie schön sie scheitert! Nicht nur Brückners Eröffnung, sondern auch die endlos verlangsamte Kendo-Choreographie, auch Tim Weilandts Luftgitarrensolo auf einer übergroßen Spielkarte sind Skizzen voll traurigster Fröhlichkeit. Und dann die Bühnenmusik! Es gibt für den Theatereinsatz bestimmt geeignetere Instrumente als die klassische Gitarre, aber sooft Stefan Krügers Untermalungen nur nerviger Muzak sind, ebensooft unterstreicht er auch eine schon in der Inszenierung angelegte Stimmung zurückhaltend, aber wirkungsvoll. Doch: Existenz, Realität, auch Text – eine Fläche? Geschenkt. Was bleibt, ist Ästhetik. Falk Schreiber

6.–9. August, 20 Uhr, Theaterdock, Lehrter Straße 35, Moabit