: Kosovo: Flucht aus brennenden Dörfern
■ Serbische Truppen vertreiben Albaner, plündern Häuser und brennen sie nieder. 100.000 Menschen auf der Flucht. Deutsche Innenminister wollen erst im November über die Duldung von Bürgerkriegsflüchtlingen entscheiden
Likovac/Berlin (AP/taz) – Serbische Truppen haben am Wochenende westlich der Provinzhauptstadt Priština mehrere Dörfer der Kosovo-Albaner beschossen und ihre Bewohner in die Flucht gejagt. Diese flüchteten in Panik in Gebiete, die noch von der Kosovo-Befreiungsarmee UCK kontrolliert werden. Die Flüchtlinge waren in Autos, mit Traktoren oder auch zu Fuß unterwegs. Sie berichteten übereinstimmend, die serbischen Soldaten hätten zunächst wahllos umhergeschossen und so die Menschen aus ihren Häusern getrieben. Anschließend hätten sie die Gebäude geplündert, mit Benzin übergossen und in Brand gesetzt. Die Offensive der serbischen Truppen geht also weiter, obwohl der jugoslawische Präsident Slobodan Milošević diese am Donnerstag gegenüber der EU-Troika für beendet erklärt hatte.
Doch auch in der Nähe von Likovac, dem Zufluchtsort der Albaner, war gestern serbische Artillerie zu hören. In der Region Djakovica südöstlich von Priština kam es nach Darstellung der UCK und der jugoslawischen Armee zu neuen Kämpfen. Beide Seiten beschuldigten die jeweils andere, die Angriffe begonnen zu haben. Serbische Einheiten kamen nach eigenen Angaben auch an der Autobahn von Priština nach Pec unter Beschuß.
Milošević sagte US-Vermittler Christopher Hill am Freitag zu, daß internationale Organisationen geflüchteten Kosovo-Albanern die dringend benötigte Hilfe bringen dürften. Ein Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Roland Sigler, erklärte, seine Organisation habe die Flüchtlinge aus Mališevo, die diese von den Serben eroberte Stadt vor wenigen Tagen verlassen haben, mit Lebensmitteln versorgt. Sigler zufolge halten sich 30.000 bis 35.000 Flüchtlinge in der Umgebung teilweise im Freien auf. In Mališevo waren bereits rund 20.000 Menschen aus der Stadt Orahovac untergekommen, die nun zum zweiten Mal auf der Flucht sind. Insgesamt sind nach Angaben des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR mindestens 100.000 Menschen von der serbischen Offensive aus ihren Wohnorten vertrieben worden. Die Offensive hatte vor zwei Wochen begonnen.
Angesichts der dramatischen Ereignisse im Kosovo sieht Bundesaußenminister Klaus Kinkel in erster Linie die Gefahr einer „Flüchtlingswelle“ von Kosovo- Albanern, die auf Deutschland zurollt. Deshalb bemühe sich die Bundesregierung, vor Ort Hilfe zu leisten, sagte der FDP-Politiker der Kölner Tageszeitung Express.
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums kamen im ersten Halbjahr 1998 knapp 10.000 Kosovo-Albaner nach Deutschland. Ihnen werde zunächst kein Status als geduldete Bürgerkriegsopfer eingeräumt; sie würden vielmehr wie jeder andere Asylbewerber behandelt, sagte Ministeriumssprecher Detlef Dauke der Berliner Morgenpost. Die Entscheidung, ob die Kosovo-Albaner als Bürgerkriegsflüchtlinge geduldet werden, treffe die Innenministerkonferenz, deren nächste turnusgemäße Sitzung für November geplant ist. Tagesthema Seite 3, Kommentar Seite 10
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