piwik no script img

„Das ist ja wie im Mittelalter“

■ Eltern stellen Vergewaltiger ihrer Tochter an den Pranger

„Warnung vor Gerald P.! Eltern achtet auf Eure heranwachsenden Kinder!“ Mit einem solchen Flugblatt warnt seit ein paar Tagen ein Hamburger Vater die Öffentlichkeit vor dem Vergewaltiger seiner Tochter, der trotz einer Verurteilung auf freiem Fuß ist.

Der Fall: Ein 34jähriger wird im Juli wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung einer jungen Frau aus seiner Nachbarschaft zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Angeklagte war im Prozeß geständig und ersparte so dem Opfer eine Aussage vor Gericht. Seine Anwältin hat Revision gegen das Urteil eingelegt, das damit noch nicht rechtskräftig ist. Da aus Sicht der Justiz keine Haftgründe vorliegen, darf der Mann auf freiem Fuß bleiben.

In Hamburger Medien präsentiert sich der Vater nun, um den „Justizskandal“ publik zu machen, daß ein Vergewaltiger immer noch „frei herumläuft“. Detailliert erzählt die Tochter den Zeitungen von ihrem fünfjährigen Leidensweg. Es melden sich andere junge Frauen, die von dem Täter angeblich belästigt wurden. Eine Gruppe junger Männer soll sich sogar vorgenommen haben, den Täter zusammenzuschlagen. Die Nachbarschaft ist entsetzt über das „frei herumlaufende Schwein“.

Der Vater des Vergewaltigungsopfers will unterdessen bei Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) vorstellig werden. Zwar werde ein Vertreter der Justizbehörde mit dem Vater reden, hieß es gestern. Aber: „Richterliche Entscheidungen sind grundsätzlich unabhängig. Da kann die Justizbehörde gar nichts machen.“ Und solange der 34jährige nicht rechtlich gegen die Pranger-Aktion vorgehe, würden auch keine Ermittlungen aufgenommen. „Das ist ja wie im Mittelalter, als Täter an den Pranger gestellt wurden“, meinte eine Justizangestellte gestern. Auf einmal werde laut aufgeschrien, obwohl der Täter schon seit April auf freiem Fuß sei. Herdis Lüke

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen